Trans Europa Lauf 2003

Transeuropalauf – von zwei Seiten betrachtet

Uli Schulte, Mai 2003

Beim Run Across Amerika 2002 hatte ich Feuer gefangen und täglich die Berichte im Internet verfolgt. Als ich vom Transeuropalauf 2003 hörte, war mir klar: hier will ich dabei sein. Nicht als Läufer auf der gesamten Strecke. Das Potential ist mir nicht gegeben. Aber in Deutschland partizipieren? Als Läufer und Betreuer knapp 2 Wochen mitmachen? Meine Generalprobe sollte die Marathonserie des 100 MC an den Hamburger Teichwiesen im Dezember 2002 sein. Nachdem ich dort 5 Marathonläufe in 7 Tagen unter widrigsten Wetterbedingungen geschafft hatte, habe ich mich gleich Anfang Januar 2003 bei Ingo Schulze angemeldet, um 4 Etappen in Deutschland mitzulaufen und bei 7 Etappen als Betreuer dabei zu sein. Sicher sind die von mir geschilderten Eindrücke und Erfahrungen subjektiv. Auch kann der relativ kurze Ausschnitt des Laufes auf deutschem Boden nicht für das ganze Unternehmen sprechen. Dennoch scheint mir die besondere Rolle als Läufer und Betreuer interessant genug zu sein, um darüber zu berichten. Ich habe interessante menschliche Begegnungen gemacht beim TEL. Einige davon werde ich erwähnen. Ich werde auch berichten von einzelnen Betreuern, von Begegnungen an der Strecke, von Landschaften. Vom Wetter, von Quartieren, von meinen Gedanken während des Laufens.

1. Tag – Abfahrt und Ankunft in Waimes / Belgien

Am Samstag, 16.5.03 fahre ich gegen Mittag in Bremen los. An der Autobahnraststätte Roxel bei Münster hole ich Rainer Wachsmann ab. Wir kennen und vom 6 – Stunden – Lauf in Rotenburg / Fulda, und er will 2 Etappen mitlaufen. Die Zeit mit Rainer ist für mich sehr bereichernd geworden. Am späten Nachmittag erreichen wir Waimes in Belgien. Die hohe Venn, ein einzigartiges Hochmoor, ist in „greifbarer“ Nähe. Nach einigem Suchen finden wir auf einer Anhöhe den Sportplatz mit kleiner Halle, in der Läufer und Betreuer untergebracht sind. Die Atmosphäre ist für mich ergreifend. Herzliche Begrüssung mit Sigrid Eichner, meiner Vereinskameradin vom 100 MC. Still liegen die Sportler auf ihren Isomatten und erholen sich, bevor es zum Abendessen in ein nahe gelegenes Restaurant geht. Hier gibt es ein klasse Essen, die Getränke sind heute frei, gesponsert von der Firma Bayer. Abends liegen wir in der Halle dicht an dicht wie die Heringe. Der Transeuropalauf beginnt mich aufzusaugen.

2. Tag – Waimes – Vettweiß / Lauftag

Ab 4 Uhr regt sich Leben in der Halle. 4.15 Uhr piepsen die ersten Handys zum Wecken. 4.45 Uhr wird das Licht angemacht. Frühstück. Brote werden geschmiert. Es gibt Kaffee. Jeden Morgen wird in 2 Gruppen gestartet. 6 Uhr die erste Gruppe, die Langsameren. 7 Uhr die Schnelleren in der zweiten Gruppe. So bleibt im Laufe des Tages das Feld dichter beieinander. Die Helfer müssen nicht zu lange an den Verpflegungsständen warten. Ich starte in der ersten Gruppe. Im Dauerregen geht es von Waimes Richtung deutsche Grenze, die relativ unspektakulär nach ca. 17 Kilometer erreicht wird. Weiter Richtung Monschau, sehr bergig mit wunderbaren Ausblicken. An der Rurtalsperre vorbei, Fotos werden gemacht. Heimische Lauftreffs organisieren heute die Verpflegung. Hier in Deutschland ist die Anteilnahme am Lauf grösser, als in den vergangenen Wochen. Menschen an der Strecke zeigen sich informiert und interessiert. Presse, Funk und Fernsehen werden in den nächsten Tagen unsere Begleiter sein. Ich schliesse erste Kontakte zu den Läufern. Auch wenn ich nur Etappenläufer bin, habe ich das Gefühl, schnell integriert zu werden. Nach 62 Kilometern erreiche ich in 8 Stunden und 35 Minuten gut gelaunt das Ziel in Vettweiß. Als langsamer Läufer ist es meine Maxime, die Strecke zu bewältigen und noch ein Lächeln und ein freundliches Wort übrig zu haben. Die beiden Führenden Robert Wimmer und Martin Wagen werden innerhalb Deutschlands gemeinsam laufen. Ihr Wettkampf wird erst wieder in Polen eröffnet werden. Während für die Athleten Ausruhen und Essen in einer nahegelegenen Gaststätte angesagt ist, habe ich noch ein Problem zu bewältigen, das mich in den nächsten Tagen begleiten wird. Mein Auto muss vom Start der letzten Etappe abgeholt werden. Ich hatte damit gerechnet, dass die Organisation den Wagen mitbringen kann, aber das erweist sich als unmöglich. Alle Mitarbeiter sind über die Maßen ausgelastet, es gibt zu wenig Fahrer. So finde ich zwei nette junge Leute, die den sympathischen Joachim Hauser besuchen. Sie fahren mit mir zurück nach Belgien, und ich kann mein Fahrzeug nachholen.

3. Tag – Vettweiß – Witzhelden / Betreuertag

Der Tag beginnt mit Stress. Das Frühstück wird anstatt um 4.45 Uhr erst um 5.15 Uhr geliefert. Zusätzlich ist das Fernsehen (ARD – Morgenmagazin) vor Ort, um den Start der ersten Gruppe zu filmen. Die Nerven liegen blank. Der sonst so ruhige Orgachef Ingo Schulze explodiert, als sich jemand zu früh ein Brötchen wegnimmt. „Ihr könnt euren Kram alleine machen...“! Bei der ständigen Belastung und dem permanenten Schlafmangel genügen Kleinigkeiten, um das Fass zum überlaufen zu bringen. Gepäckfahrer Manfred Born, Webmaster Sebastian Seyrich, Alexa Schättli, Freundin von Martin Wagen, Inge Schulze, Frau von Ingo – man merkt ihnen die Belastung an, unter der sie stehen. Reporter Jürgen Ankenbrand hat einen Schutzschild um sich aufgebaut. Streckenmarkierer Brigitte und Joachim Barthelman leisten gleichmütig und gelassen ihren wichtigen Dienst. Martin Bayer, der von seiner Frau, der bekannten Läuferin Else Bayer unterstütz wird, ist für die Versorgung der Läufer zuständig. Er ist ein ruhender Pol, hat immer noch ein nettes Wort für alle übrig. Jeder kann halt anders mit dem Stress umgehen. Beim einen muss der Frust raus, der nächste kann anders kompensieren. Aber alle leisten einen grossartigen Dienst. Ich stehe an meinem ersten Betreuertag auf Abruf zur Verfügung. Wieder ein Tag mit viel Regen. Die Laufstrecke führt durch die Stadt Köln hindurch. Der erfahrene Ultraläufer Helmut Schieke, der mir durch seinen unerschütterlichen Humor auffällt, ist gestürzt und muss in Köln aufgesammelt werden. Trotz vielem Suchen in strömendem Regen finde ich ihn nicht. Jemand hat ihn schon mitgenommen. Dafür lese ich den netten brasilianischen „journey – runner“ Carlos Machado auf. „jorney – runner“ laufen auf Grund von Wettkampfabbruch oder Überschreitung des Zeitlimits nicht mehr in der offiziellen Wertung. Carlos ist Flugkapitän und ein sympathischer und hilfsbereiter Bursche. Bei der Firma Bayer ist bei km 65 ein grosser Rummel. Manche Läufer mögen das mehr, andere weniger. Beim Zieleinlauf in Witzhelden herrscht Volksfeststimmung. Im Foyer der Kirche wird Massage angeboten. Ein grosser Tag für Lokalmatador und Initiator des Laufes, Manfred Leismann, der hier gebührend empfangen wird. Frust bei einigen Läufern, die sich in Köln verlaufen haben. Für mich an diesem Tag die Erkenntnis: das Leben als Betreuer kann genauso hart sein wie das Leben des Läufers auf der Strecke.

4. Tag – Witzhelden – Plettenberg / Betreuertag

Mein Betreuertag beginnt mit der Aufgabe, Rainer Wachsmann nach Solingen zum Bahnhof zu bringen. Mein Auto ist vollgeladen mit Lebensmitteln für meinen ersten Verpflegungsstand. Nachdem ich mich durch den Solinger Berufsverkehr gequält habe, erreiche ich kaum rechtzeitig die Stelle, wo der Stand aufgebaut werden muss. Biggi, Lebensgefährtin von Werner Selch, geht mir freundlicherweise zur Hand, und ich sammle meine ersten Erfahrungen, was man am Stand alles falsch und richtig machen kann. Ingrid Rücknagel – Böhnke, Betreuerin und Frau von Günter Böhnke – bekannt durch „Günthers SMS“ – gibt mir manch wertvolle Tipps. Was essen Läufer gerne an der Strecke? Nicht gerade das, was im Lehrbuch als optimale Verpflegung angepriesen wird. Unter den Getränken ist Cola der Hit, aber auch Eistee, Wasser, Bier (in Maßen) – und für den Berufsabenteurer Stefan Schlett auch schon mal ein Glas Rotwein. Bei den Speisen sind Müsli – Riegel gerade out. Alles, was süss oder herzhaft ist, ist im Kommen: Brot mit Quark und Honig, Schokolade, Vanillepudding oder auch Gewürzgurken, Dosenfisch und Eierravioli. Ich habe den Eindruck, dass das Essen nicht nur für den Körper, sondern auch für die Psyche der Läufer sehr wichtig ist. Die Athleten hangeln sich mitunter von einem der in ca. 10 km Abstand aufgestellten Verpflegungsstände zum nächsten. Hier muss es etwas Leckeres geben. Einen Wunsch von den Augen ablesen, ein freundliches, aufbauendes Wort oder nur ein Schulterklopfen gibt Kraft für die nächsten Kilometer. Hier werden auch die verschiedenen Charaktere und Mentalitäten offenbar. Deutsche oder Italiener meckern schon mal – Japaner sind meist gleichmütig und bedanken sich mit einer Verbeugung – auch wenn man ihnen gerade gesagt hat, dass die Strecke heute mal wieder 4 km länger ist. Nachdem auch der letzte Läufer an meinem ersten Stand versorgt ist, heisst es, schnell alles einpacken und den nächsten Versorgungspunkt an der schönen Östertalsperre anzusteuern, um dort noch die schnellen Läufer zu erwischen. 2 Verpflegungsstände zu machen, bedeutet Stress, und wenn der 2. Stand gleichzeitig der letzte (unbeliebteste) ist, heisst es, dort bis zu 5 Stunden auf den letzten Läufer zu warten. Dabei aber immer von Herzen freundlich bleiben – denn es geht ja nicht um den Stress des Betreuers, sondern um die Versorgung der Läufer. So bekomme ich heute auf der Strecke nach Plettenberg nicht viel von der Schönheit des heimatlichen Sauerlandes mit, sondern muss mich beeilen, noch selbst was zum Abendessen zu bekommen, die restliche Verpflegung auszuladen nebst Müll und was sonst noch so im Wagen ist. Dann alles vorbereiten für den morgigen, eigenen Lauftag. Umso mehr freue ich mich, dass ich heute Besuch bekomme von meinem Freund Martin Sauer. Hier in Deutschland werden die Läufer häufiger besucht, was vielen Kraft gibt, weiterzumachen. Mit Ansprachen des Bürgermeisters und Ingo Schulzes zur Halbzeit des Transeuropalaufes endet der Tag.

5. Tag – Plettenberg – Brilon / Lauftag