Alle zeigen - Bericht von Elisabeth Herms-Lübbe zum 100 Miles Trail Race Landwehrhagen:
Elisabeth Herms-Lübbe , 22.05.2005

Gigantischer Matsch in Landwehrhagen -verregneter German 100 Mile Trail Run


Ich hatte mich sehr darauf gefreut. Susi Seidel und Hans-Dieter Weisshaar hatten zu ihrem zum fünften Mal privat veranstalteten German 100 Mile Trail Run (161 km) am 14. und 15. Mai 2005 eingeladen. Ihre Gäste, die zum Teil von den großzügigen Veranstaltern beherbergt wurden, waren wieder international. Von 15 Startern waren fünf aus Amerika und einer aus Italien, sechs der Starter waren Frauen.

Meine Freude wurde getrübt durch meinen Mann, der 100 Meilen zu laufen sowieso für pervers hält und meine Teilnahme für einen Akt der Selbstverstümmelung, weil ich im letzten Jahr mit Blasen an den Füßen weiter gelaufen bin. Ich hingegen liebe die ganz langen Strecken, weil man sich da nicht so abhetzen muss, wozu ich ohnehin nicht so begabt bin. Bei einem Marathon, den ich schnell laufen will, quäle ich mich mehr als auf 100 Meilen. Als mein Mann mir sagte, es würde den ganzen Samstag regnen, habe ich das nicht als Warnung gewertet, sondern als böse Bemerkung. Zwei Tage vorher waren wir auf einer Hochzeit gewesen, bei der der Standesbeamte alle Paare ermahnt hatte, an der Partnerschaft ständig zu arbeiten und sich nicht gegenseitig unnütz die Freiheit zu beschneiden. Mein Mann hatte da wohl nicht so gut zugehört. Ich hatte also psychisch Knüppel zwischen die Beine geworfen bekommen. In manchen Lebenssituationen mögen einen Widrigkeiten vielleicht bestärken, wie z. B. Musiker, wenn sie im Spiel gestört werden, vor Wut besonders intensiv und gut spielen. In dieser Situation traf das nicht zu, sodass ich ziemlich traurig gestartet bin.

Zur Erinnerung hier eine kurze Streckenbeschreibung.

Die Strecke besteht aus vier Runden. Sie ist abwechslungsreich, bergig und von großer landschaftlicher Schönheit. Die ersten 50 km gehen in den Kaufunger Wald, die zweiten 50 km mit Umwegen nach Hann. Münden und zurück, dann schließen sich 39 km nach Kassel an, wiederum nicht ganz direkt, und die letzte Runde von 22 km findet auf gewundenen Wegen im Wald von Landwehrhagen statt. Rüdiger Binsch und Brandi Resa aus den USA hatten als freiwillige Helfer über tausend weiße Punkte nachgemalt, damit sich nur keiner verliefe. Mit mangelnder Konzentration ist das manchen Läufern aber doch passiert. Bemannte und unbemannte Verpflegungspunkte, die aus einer Vorratskiste bestanden, gab es an der Strecke.

Die Strecke hat zwei Hauptstützpunkte: die Garage mit angrenzendem Privathaus und den am Kragenhof. Auf direktem Weg über die Straße sind beide nicht so weit voneinander entfernt. In der Garage starten und enden alle vier Runden, der Kragenhof ist Knotenpunkt für die Runden 2 bis 4, der neunmal zu passieren ist. Im Wald beim Kragenhof war der Matsch am schlimmsten. Da tat meine Vereinskameradin Helene Worbes unermüdlichen Verpflegungsdienst. Es ist ziemlich einsam dort, es sieht aus wie in der Mitte von Nirgendwo. Die Stelle hat jedoch schon Prominenz passiert auf dem Weg zur etwas weiter unten gelegenen Domäne Kragenhof. Prinz Charles war vor einigen Jahren da, weil der ökologisch bewirtschaftete Betrieb ökonomisch so rund läuft, dass er ihn als Vorbild gesehen hat für seine eigenen entsprechenden Betriebe: Ökobauern unter sich. Und kürzlich, auf seiner Antrittsreise durch Deutschland, war Bundespräsident Köhler da. Er hat das Boxcamp dort besucht. Das hatte folgende Bewandtnis: Ein Mann, selbst schwer gebeutelt von schlimmer Jugend und anschließender Kriminalität, hat sich aus seinem Elend aufgemacht, um strauchelnde Jugendliche vor einem solchem Schicksal zu bewahren. Er boxt mit ihnen und bringt ihnen Respekt vor Mitmenschen bei. Sein Engagement wird offiziell unterstützt, und er hat einen Platz für sich und seine Schützlinge im Kragenhof gefunden. Nebenbei sei bemerkt, dass die Jugendlichen nicht nur boxen, sondern auch laufen, wie man an der Verpflegungsstation beobachten konnte. Als unser Bundespräsident den Wunsch äußerte, das Boxcamp zu besuchen, war man in Nordhessen etwas verschnupft, weil es doch soviel Schönheiten hier zu sehen gibt. Als er aber dann den Betreuer, der noch deutlich von seiner Vergangenheit gezeichnet ist, herzlich in den Arm nahm und auf beiden Seiten Tränen in den Augen glänzten, war der Betreuer plötzlich ein Liebling der Gesellschaft.

Weil ich langsam bin, bin ich 90 min. vor dem allgemeinen Start losgelaufen. Für meine Verpflegung in den ersten Stunden hatte ich selbst gesorgt und etwas deponiert, ich kenn ja die Gegend. Schon bald begann der Regen. Er war zunächst noch ganz gut zu ertragen, weil es nicht besonders kalt war. Ungefähr bei km 36 kam der erste gewaltige Matsch. Der schmale, aufgeweichte Waldweg war offenbar mit einem schweren Fahrzeug befahren worden und hatte so tiefe Spuren, dass man einen erwachsenen Menschen darin hätte beerdigen können. Gegen Ende der ersten Runde überholten mich etliche der später gestarteten Läufer.

Auf der zweiten Runde an der Fulda längs nach Hann. Münden gab es auf dem Hin- und Rückweg ein seltenes Naturschauspiel: Feuersalamander in freier Wildbahn. Die mögen wohl solch Wetter.

In einem Wohnmobil wurde Linsensuppe und Obst gereicht. Der italienische Läufer war dort so durchgefroren, dass er zunächst ausstieg. Im Wohnmobil wurde er jedoch wieder aufgewärmt und mit einer warmen Jacke versehen, worauf er weiter lief. Später hat er aber doch nicht gefinisht. In einer Verpflegungskiste stand das Regenwasser so hoch, dass die leeren Flaschen und die Dose mit den Schokoriegeln und Bifis zu schwimmen begonnen hatten.

Bei Einbruch der Dunkelheit regnete es immer noch und ich habe auch gefroren. Der Pfad war so aufgeweicht, dass man selbst mit ordentlichem Profil unter den Schuhen dauernd wegrutschte. Jedoch waren viele Bäume und Sträucher längs des Weges, an denen man sich vor einem eventuellen Sturz festklammern konnte. In dem Schlamm bin ich nur noch vorsichtig gewandert, an Laufen war nicht zu denken. Wo kein Matsch war, stand Gras so hoch, dass es einem triefend um die Beine schlug. Mein Atem erzeugte vor der Stirnlampe so viel Nebel, dass ich schlecht noch etwas erkennen konnte. Von Ferne schon leuchtete einem Susis und Hans-Dieters Haus entgegen, trocken und warm. So hat mir bei 100 km die widrige Natur gereicht, ich habe aufgegeben, geduscht, meine Isomatte und meinen Schlafsack ausgerollt, eine Wärmflasche genommen, die meine helfende Tochter gab, und da habe ich geschlafen. Gut 18 Stunden war ich unterwegs gewesen. Einige andere Teilnehmer haben auch vorzeitig aufgegeben, Hansi z. B. erst bei km 139: „Ich will mir doch nicht die Freude am Laufen verderben“. Ja, es war hart.

So habe ich den Vogelgesang bei Sonnenaufgang nicht erlebt, auch nicht den Sonnenschein, den ich am nächsten Tag auf der Strecke hätte genießen können, wäre ich dabei geblieben.

Jetzt schäme ich mich etwas, nicht gefinisht zu haben. Als wüsste ich den Aufwand und das Privileg, dabei sein zu dürfen, nicht schätzen. Aber ich habe auch Fehler gemacht, aus denen ich lerne. Meine eigene Nachmotivation war mangelhaft, als ich den äußeren Umständen entsprechend keine Lust mehr hatte weiterzulaufen. So etwas muss ich mir fester vornehmen. Ich sollte dem Wetterbericht entsprechend sorgfältiger meine Sachen packen. Und die Schuhe dürfen keine Pronationsstützen haben, denn der Ansatz dazu drückte nach 100 km ins Fußgewölbe.

Hatte ich nun hinterher Spuren der Selbstverstümmelung an mir, wie von meinem Mann prophezeit? Ja, ich hatte blutig aufgescheuerte Fersen, die jedoch von den Pumps, die ich auf der Hochzeit getragen hatte, herrührten.

Weshalb, so wird mancher fragen, läuft man 100 Meilen? Das ist doch anstrengend und kann langweilig werden, vielleicht sogar schmerzhaft.

Hauptsächlich wegen der Leute, die man dabei trifft, sagt Hans-Dieter. Ein überzeugender Grund. Nur nette Leute waren in Landwehrhagen.

Hauptsächlich wegen der guten Erinnerungen, die man nachher daran hat, meine ich. Jetzt, wo ich ihn nicht mehr um die Füße habe, ist mir selbst der Matsch in positiver Erinnerung als ungewöhnliches sinnliches Erlebnis. Vielleicht wird später alles so positiv, weil man sich selten so intensiv lebendig fühlt wie beim Laufen mit Schwierigkeiten. Außerdem gibt das Laufen natürlich Kraft und Gesundheit für den Alltag, dazu Schönheit in der Art „Wie sähe ich so viel schlechter aus, wenn ich nicht liefe“. Und die Bewältigung einer solchen Strecke verleiht Selbstbewusstsein in schwierigen Lebenssituationen, weil man sich sagen kann: „Die Strecke hast du bewältigt, dann bewältigst du auch andere Schwierigkeiten“.

Möglicherweise wird der German 100 Mile Trail Run bald Vergangenheit und Legende sein. Die private Belastung ist so hoch, dass er im nächsten Jahr nicht stattfinden soll. Aber der Mut der Veranstalter und die mitreißende Begeisterung aller Beteiligten – ja, auch bei den Helfern – hat Spuren hinterlassen. Hansi Köhler, regelmäßiger Teilnehmer in Landwehrhagen, veranstaltet mit seinem Team als Einladungslauf demnächst auch einen 100-Meiler: STUNT100.

Eine vergleichbare Privatveranstaltung in einem ganz anderen, mir persönlich fremden Bereich fällt mir ein, bei der laut Zeitungsbericht jedes Jahr wieder gesagt wird: „Nie wieder, es ist so unglaublich viel Arbeit, das war das letzte Mal“. Das ist das Country Music Festival auf der „Ranch“ von Country Rose, die nicht weit weg von der ersten Runde liegt. Seit über zwanzig Jahren findet es statt. Die Fans dürfen auf dem Privatgrund campen, und absolute Topstars wie Wanda Jackson und Dave Dudley haben es sich nicht nehmen lassen dort aufzutreten. Da sollen nur die Leute sein, die begriffen haben, was die Seele der Country Music ist, und haben nur gute Stimmung, weshalb auch die Berühmtheiten so gern kommen, hier wie da Romantiker verschiedener Art unter sich, die sich gegenseitig bekräftigen und bestärken, zwei Enklaven des Enthusiasmus nahe beieinander in Nordhessen.


Von 15 Startern über die 100 Meilen sind neun angekommen:
Markus Müller zusammen mit John Beard (beide 24:25), Stephan Hloucal, Marcy Beard (schnellste Frau mit 27:38), Russ Kline, Brandi Resa, Heike Pawzik zusammen mit Ruth Jäger und Hans-Dieter Weisshaar trotz Verletzung. Die Zeiten lagen allgemein über denen vom vergangenen Jahr bei schönem Wetter. Bei 100 oder mehr km ausgestiegen sind Hansi Köhler, Michael Haasche, Helga Backhaus, Flavio Dalbosco und Elisabeth Herms-Lübbe. Detaillierte Ergebnisliste demnächst unter http://www.hans100.net/


© Elisabeth Herms-Lübbe, 22.05.2005

Weitere Info's und Berichte zum Lauf:


Kommentare Kommentare zu diesem Bericht:
 
UNSUI schrieb am 13-07-2007 21:03:

Re: Ein Bericht, der nachdenklich stimmt

Hallo, Elisabeth,
sehr guter Bericht- mach`Dir nichts mehr aus Deinem Ausstieg, passiert den Besten. Härter ist natürlich die Ansicht Deines Ehemannes über Ultralaufen im allgemeinen und besonders vor solch einem Lauf: Das knallt einen richtig `runter, denn vorher ist man ja übersensibel und nervös. Respekt vor Deiner Leistung und weiterhin viel Spaß beim Laufen,
mit ultralangen Grüßen, UNSUI
--
Mögen alle Lebewesen-und Läufer besonders- glücklich sein!

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