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Frank Hildebrand , 16.08.2006Ich laufe meilenweit für eine.....
... nee, keine Camel, das überlasse ich lieber dem Steppenhahn. Wofür dann? die Auflösung gibt's weiter unten.
Morgens war ich noch arbeiten -- ausruhen oder gar ausschlafen muß ja nicht sein. Sind ja bloß 100 km und das die ganze Nacht durch. Also am frühen Nachmittag Feierabend, schnell nach Hause, Klamotten einpacken, die Kinder links liegen (stehen) lassen und durchstarten nach Belgien. Ein kleiner Stau auf der A40, aber ist ja kein Problem, bis zum Start sind ja noch ein paar Stunden.
Bei Antwerpen biege ich mal wieder falsch ab und lande wieder auf der A1 statt der A12. Ist mir an gleicher Stelle schon mal passiert. Ich frag mich bloß, wo der Fehler liegt. Na ja, auch die A1 muß doch irgendwann die N16 (Bundesstraße) kreuzen, also erstmal weiter. Ist auch so, nur stehe ich ab der Ausfahrt im Stau (Baustelle). Die Zeit rinnt dahin, ich krieche so voran. So verbringe ich fast zwei Stunden damit, wieder zur A12 zu kommen. Hmmm, ist die Nachmeldung wohl bis zum Start möglich, oder schließen die schon vorher??. Eigentlich wollte ich ja mindestens zwei Stunden vorher da sein. Na ja, dann nicht; hoffentlich ist bloß die Anmeldung noch auf!!!
Kurz vor Bornem haben sich dann noch zwei Autos gaaanz doll lieb gehabt, sodass ich auch da noch mal rumstehe. So ein Sch....
Parkplatz war dafür kein Problem. Schnell umziehen und ab zum Zelt. BugsBunny wollte um halb acht da sein, aber die Zeit ist schon lange vorbei. Also nicht nach Bekannten Gesichtern suchen. Die Anmeldung ist professionell wie immer. 29 Euro incl. Nachmeldegebühr bezahlt und auf geht's. Jetzt noch schnell essen. In einem Hinterhof gab's vor zwei Jahren noch leckere Pizza im Stehen. Gibt's aber nicht mehr. Also weitersuchen. Auf der Laufstrecke sehe ich einen kleinen Umzug. Ich gehe hin, staube noch ein Päckchen mit zwei Scheiben Honigkuchen und etwas später ein Pfund Weintrauben ab. Na also, ist das Abendbrotproblem ja auch geklärt.
War aber keine gute Idee, wie sich später herausstellt.
'Ne halbe Stunde vorm Start bin ich dann endlich am Startbereich. Beim Betreten wird die Startkarte das erste Mal gescannt und alle Teilnehmer bekommen ein Werbe-T-Schirt eines Sponsors. Hmmm, die inzwischen leere Weintraubenschachtel kann ich jetzt in einem leeren T-Shirt-Karton des Trauben- und T-Shirt-Sponsors deponieren, wie passend. Aber wohin nur mit dem T-Shirt?!?!?!?!? 100 km mitschleppen oder einfach in die Ecke werfen?? Hmmm, zum Wegwerfen auch zu schade. Kann ich ja noch bei der Gartenarbeit oder so anziehen, außerdem ist da ja noch 'n kleines Dodentocht Logo drauf. Also klemme ich es mir erstmal unter den Trinkgurt. Wenn's zu sehr stört, kann ich es immer noch entsorgen.
Im Startbereich unterhalte ich mich mit ein paar Bundeswehrsoldaten, die zum ersten Mal solch eine Strecke marschieren und entsprechend nervös sind. Ich kann sie beruhigen. So schlimm ist's auch wieder nicht. Hab ja schließlich schon die Erfahrung von zwei Dodentochts. Wie man sich irren kann, sollte ich später noch am eigenen Leib erfahren.
Außerdem machen mir die Schuhe Sorgen. Es gibt Tage, da ziehst Du Dir die Laufschuhe an und läufst los. Stunden später kommst Du wieder und alles ist in Ordnung. Es gibt aber auch Tage, da ziehst Du die Schuhe an, merkst nach ein paar Metern, Du hast sie zu fest geschnürt, machst sie lockerer, merkst, sie sind zu locker, schnürst sie wieder fester, sie drücken, machst wieder lockerer, sie schlabbern und so weiter. Heute ist so ein Tag!!! Sch...!!! Ich entscheide mich für etwas zu locker und freue mich schon auf die Blasen, die ich mir durch den Kampf mit den Schuhen wohl einhandeln werde.
Um Punkt Neun geht's dann endlich los. Na ja, eigentlich nicht, weil so viele noch vor uns sind. Aber einige Minuten später überqueren wir endlich auch die Startlinie und dann geht's richtig los. Ich schaffe es sogar recht schnell, mich freizulaufen. Klasse, das macht Spaß. Die ersten km fliege ich nur so dahin (falls man bei meinem Tempo von fliegen reden kann). Nach den ersten 10 km merke ich, dass ich in den Schuhen doch etwas zu sehr hin und her rutsche. Also doch wieder fester. Hmm, vom Gefühl her etwas zu fest, aber jetzt laufe ich erst mal.
Der erste Verpflegungsstand ist auf dem Gelände einer Lebensmittelfabrik. Es gibt ein Iso-Getränk und diese leckeren Reistörtchen. Vor drei Jahren habe ich ein solches nur so runtergeschlungen und es wäre mir fast wieder hochgekommen, weil es mir so schwer im Magen lag. Dieses Mal nehme ich mir Zeit, esse in Ruhe und laufe weiter. Ohne weitere Vorkommnisse "schwebe" ich bis zum nächsten Kontrollposten. Wenn's so weitergeht, ist 'ne neue Bestzeit drin. Bisher hatte ich ein Mal 14 und ein Mal 16 Stunden gebraucht.
Nach der zweiten Kontrolle merke ich, dass meine Beine nicht das einzige sind was arbeitet. Die Weintrauben machen sich so langsam in meinen Gedärmen bemerkbar. Na klasse, war wohl doch nicht so'ne gute Idee. Ich kneif die Backen zusammen und renne weier. Zwischendurch habe ich immer wieder meinen ganz persönlichen Düsenantrieb ;-). Ein paar Engländer, die ich gerade überholt hab, lachen sich schlapp. Ich gönne ihnen ihren Spaß. Beim Laufen kann man sich so was halt nicht verkneifen. Der Knigge kann nachher wieder rausgeholt werden.
An der dritten Kontrollstelle keine richtigen Toiletten, nur diese elenden Dixies. Da muß ich jetzt wohl durch. Wohin nur mit dem Trinkgurt. Egal, er bleibt einfach vorm Dixi liegen. Wird schon keiner klauen. Macht auch keiner, alles noch da als ich rauskomme. Mit etwas wackeligen Knien aber erleichtert kann ich endlich weiterlaufen. Eigentlich sollte ich jetzt etwas Vaseline nachlegen, aber hier wo so viele Leute sind? Nee, später. Aber wie das so ist, hab' ich's dann vergessen, und das sollte nach dem Pfund Weintrauben und dem sinnlosen Losrennen der dritte große Fehler in dieser Nacht werden. 50 km weiter würde ich es noch bitter und schmerzhaft bereuen!
Irgendwann nach dieser Verpflegungsstelle macht sich die Müdigkeit bei mir bemerkbar. Paul, ein Belgier, meint, zu zweit sei es leichter und zieht mich mit. Er hat Recht und wir laufen die Strecke bis zur nächsten Verpflegung durch und unterhalten uns sehr gut dabei. Paul ist zum 28. Mal dabei. Ich bin begeistert, 28 Mal durfte er an diesem großartigen Erlebnis nun schon teilnehmen. Durch ihn habe ich die erste Müdigkeit gut überwunden (Danke Paul) und wir kommen gut weiter. Später läßt Paul dann abreißen, weil er nicht ganz mein Tempo hat. Nach unter 7 Stunden erreiche ich noch immer voller Euphorie die 50 km Marke. Wenn das so weitergeht, wird's 'ne neue Bestzeit. Außerdem wird's ja bald hell, und dann ist's auch mit der Müdigkeit nicht mehr so schlimm. Das einzige was stört, sind die Weintrauben. Mein persönlicher Düsenantrieb bleibt mir die ganze Nacht erhalten. Und an allen Verpflegungsstellen nur Dixies. Habe ich schon gesagt, dass ich Dixies hasse?!?!?!?!? Ich will ein richtiges und sauberes Klo!!!! Also Backen zusammenkneifen (so dringend ist's nicht) und weiter.
An einer Verpflegung will ich einen Moment die Augen zumachen. Kaum nicke ich ein, da kommt ein freundlicher Helfer und fragt, ob mit mir alles in Ordnung sei. Ich sage ihm, dass ich bloß ein wenig ausruhen will. Er entschuldigt sich mehrfach, dass er mich geweckt hat und erklärt mir, dass er alle Leute ansprechen soll, die schlafend da sitzen wie ich. Es könnte ja auch mal was ernsthaftes dahinterstecken. Einerseits ärgere ich mich ein wenig, andererseits bin ich aber mal wieder begeistert von der perfekten Organisation hier beim Dodentocht und auch vom Sicherheitsbewußtsein. Ich schocke den Helfer dann, als ich in die falsche Richtung losstapfe. Er glaubt an Desorientierung und will schon eingreifen, aber ich will bloß noch 'n Becher Tee haben und dafür muß ich 10 Meter zurück. So richtig beruhigt scheint er immer noch nicht, aber ich ziehe wieder los, mit Tee und in die richtige Richtung.
Bis km 70 geht's ganz gut voran, ein paar Probleme, aber harmlos. Ich laufe und gehe abwechselnd. Ca. bei km 70 dann der totale Einbruch. Ich will nicht mehr. Ich will mich einfach nur hier hinsetzen und keinen Meter mehr weiterlaufen!! Ich zwinge mich, weiterzugehen, werde aber auch beim Gehen immer langsamer. Ich unterhalte mich kurz mit einem Bundeswehr Soldaten. Der bekommt den Marsch sogar bezahlt. Inclusive Fahrtkosten und Auslandszuschlag. Er muß aber kurz danach schon wieder abreißen lassen, weil es ihm noch schlechter geht als mir. Das baut mich nicht wirklich auf. Ich laufe/marschiere wieder alleine. Und wo bleibt nur dieses elende 75 km Schild???
Ein älteres belgisches Ehepaar wandert mir mehrfach über den Weg. Unvorstellbar, beide einen Kopf kleiner als ich, beide so zwischen 65 und 70 Jahre alt und ich kann beim Marschieren nicht mithalten. Beim Laufen bin ich nur wenig schneller. Und das beste: Selbst bei diesem irren Tempo marschieren die Beiden Hand in Hand wie ein junges Liebespaar. Beneidenswert!! Irgendwann spreche ich sie an, ob sie so was öfter machen. Sie antworten mir, dass sie schon mehr als 50 Märsche zwischen 100 und 160 km hinter sich haben. Ich wünsche den Beiden noch alles Gute und lasse sie ziehen. Bei dem Tempo komme ich nicht mehr mit.
Irgendwann habe ich sogar das 75-Schild hinter mir. Wenige km weiter merke ich, dass die Pobacken beim Gehen doch mehr aneinanderreiben als beim Laufen. Jetzt weiß ich, was ich vor 50 km vergessen habe!!! Ich schmiere zwar noch was drauf, aber es hilft natürlich nix mehr. Ich erinnere mich, dass ich als meine Kinder noch in den Windeln lagen, schon mal die Windelcreme gegen den Wolf, den ich mir gelaufen hatte, eingesetzt habe. Das war vielleicht 'ne Wohltat!! Was würde ich jetzt für eine Tube von dieser herrlichen Windelcreme geben?!?!?!?
Kurz vor dem drittletzten Verpflegungsstand merke ich, dass sich das Dixi wohl nicht mehr vermeiden läßt. Die Büsche sind zu naß und nicht dicht genug, sonst würde ich die echt vorziehen. Als ich an die Turnhalle komme, in der es dieses Mal was gibt, sehe ich keine Dixies. Na dann wohl hinter der Halle. Ich hole mir meinen Tee und was zu essen, gehe raus und sehe ein Schild "WC" und das zeigt auf eine richtige echte Tür!! Schnell wieder in die Halle, jemanden bitten, 'n Blick auf meinen Kram zu werfen, Becher, Trinkgurt, T-Shirt (ja ich hab es noch dabei) ablegen und schnell ans Ziel meiner momentanen Träume. Eine echte und dazu sehr saubere Toilette, fließend Wasser, Seife, Stoffhandtuch von der Rolle. Ich fühle mich wie im siebten Himmel und vergesse sogar für ein paar Minuten meine Müdigkeit.
Nachher geht's wieder frisch weiter, na ja, die ersten fünf Meter, dann merke ich doch wieder, dass ich schon ein paar Meter mehr hinter mir habe. Und außerdem beißt der Wolf!! Ich muß wieder an Paul denken. Wie bescheuert muß man sein, sich das hier 28 Mal anzutun?!?!?!?!?
Was soll ich über die letzten 15 km noch sagen? Eigentlich schleppe ich mich nur so dahin, weil ich nicht ohne meine Ziel-Ananas nach Hause kommen will. Selbst die letzten 5 km in Bornem, die ich die letzten beiden Male noch gelaufen bin, weil da ja wieder Zuschauer sind und es mit Zuschauern wieder Spaß macht, kann ich dieses mal nur noch gehen (eher kriechen). Immerhin hat mich mein (schwarzer) Humor noch nicht verlassen. Ich spreche einen leidenden Mitwanderer an, ob er nicht mehr gehen kann. Nein? Dann könnte er ja laufen..... Und laufe selbst ein paar Meter weiter.
Die letzten 500 Meter bis ins Ziel kann ich aber dann doch wieder laufen und die Papierfähnchen schwenken, die mir ein freundlicher Polizist vor 4 km in die Hand gedrückt hat. Im Ziel gibt's dann nach 15 Stunden und 58 Minuten die obligatorische Ananas (Ihr wisst schon, ich laufe meilenweit für eine Ananas), Compeed Blasenpflaster, die Urkunde, einen Orden (dieses Mal mit 'ner 3 für die dritte erfolgreich Teilnahme) und eine kleine Flasche Bier. Und das erste Mal seit Jahren nach einem Lauf Tränen. Vor Glück, vor Erschöpfung. Ich schleppe mich nur noch zu einem Tisch, lasse mich auf einen Stuhl sinken, brauche fünf Minuten, um mit zitternden Händen mit dem Autoschlüssel das Bier zu öffnen.
20 Minuten später habe ich das Bier leer und mich soweit beruhigt, dass ich losziehen kann. Ich will auf direktem Weg zum Auto. An der ersten Seitenstraße sehe ich noch mal die Laufstrecke und denke mir, für die paar Meter Umweg reicht's noch. Ich gratuliere den Läufern, schwenke euphorisch meine Ananas. Und siehe da endlich ein bekanntes Gesicht. Bernhard Sesterheim kommt ist gerade kurz vorm Ziel. 17 Stunden kein bekanntes Gesicht und als alles vorbei ist, da treffe ich Bernhard. Er driftet kurz zu mir rüber, wir gratulieren uns gegenseitig und schon ist er weg. Zurückgehen zum Ziel? Nee, zu weit. Jetzt bloß noch zum Auto, umziehen und losfahren.
Ich merke recht schnell, dass Auto fahren jetzt nicht die allerbeste Idee ist, halte am ersten Rastplatz an und schlafe kurz und tief. Beim Aufwachen sehe ich zwei weitere Dodentocht-Teilnehmer (Die erkennt man am Gang). Einer von beiden könnte Florian mit seiner prägnanten Frisur sein, der wollte auch zum Dodentocht. Steige ich aus? Spreche ich ihn an? Nee, jetzt will ich nur noch nach Hause in die Badewanne. Vielleicht beim nächsten Mal.
Zu Hause dann die große Überraschung: Trotz meiner Schuh-Probleme vom Anfang keine einzige Blase.
Aber ein paar Dinge habe ich gelernt:
1. Keine Unmengen von Weintrauben vor einem Ultra!
2. Nachschmieren mit Vaseline darf nicht vergessen werden!
3. Nicht zu schnell losrennen, (auch wenn's Spaß macht)! Aber das haben schon erfahrenere Ultras als ich vergessen. Vielleicht braucht man von Zeit zu Zeit diese Erfahrung.
4. Nicht zu überheblich sein (Kenne ich schon, hier kann mir nix passieren, bin ja schließlich schon zweifacher Finisher)! Habe Respekt vor jedem Lauf, beginne ihn in Demut, dann wirst Du später nicht gedemütigt!!
5. Auch Erfahrung schützt nicht vor Anfängerfehlern!
Und nächstes Jahr fahre ich sicher wieder zum Dodentocht. Ob ich dann Paul bei seinem 29ten Dodentocht treffe?
© Frank Hildebrand, 16.08.2006
Weitere Info's und Berichte zum Lauf:
Kommentare zu diesem Bericht:
- schöner Bericht. Martinwalkt 17-08-2006 22:28
Martinwalkt schrieb am 17-08-2006 22:28:schöner Bericht.
Das war ja wirklich ein schöner Bericht. Noch ein Tip von mir: außer der Vaseline probier mal gegen den Wolf die original Gewohl Fußcreme (die silberne Tube) das hilft. Nehme ich immer auf Märschen mit. Herrlich der schwarze Humor mit dem "dann lauf doch" :-)
Gern wäre ich dabei gewesen, bin aber eine Woche vorher leider mit dem Fuß umgeknickt.
und hier gibt es noch weitere Berichte bei Laufen-aktuell.de
http://www.laufen-aktuell.de/laufen-aktuell/content/forum/showthread.html?t=22137&highlight=dodentocht
Gruß MartinDu bist nicht angemeldet und kannst somit keine Kommentare schreiben!
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