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Elisabeth Herms-Lübbe zum Kyffhäuser-Bergmarathon (28.04.2007) - Ultramarathon beim Steppenhahn (10.2000)
Alle zeigen - Bericht von Elisabeth Herms-Lübbe zum Kyffhäuser-Bergmarathon:
Elisabeth Herms-Lübbe , 28.04.2007

Ein Frühlingsritual



Der Mensch braucht Rituale. Manchmal möchte er sich sicher fühlen, alles wieder erkennen, wissen, was als nächstes kommt, nicht überrascht werden. Das gibt ein Gefühl der Kontinuität, der Gewissheit, dass alles gut bleibt über die Jahre, nichts falsch läuft. So ist es mit dem Kyffhäuser Berglauf und mir. Bei der Strecke weiß ich bei jeder Biegung, wie es dahinter aussieht. Wenn dann der vertraute Anblick erscheint, ist das angenehm. Nur die Kleinigkeiten am Rand sind manchmal unterschiedlich.

Wenn man sich jemanden vorstellt, der sich nicht in unserem Kulturkreis auskennt, einen Außerirdischen beispielsweise oder einen Archäologen aus der Zukunft, und dieser jemand würde das alles beobachten, auch der käme zu dem Schluss, dass es sich hier um ein Ritual mit Begleitaktivitäten handelt, eine kultische Handlung um die heilige Zahl 42,195.

Fährt man Mitte April morgens von Kassel nach Bad Frankenhausen, blendet einen immer die niedrig stehende Sonne, und wie jedes Jahr war die Autobahn von Göttingen nach Halle noch immer nicht fertig, das gehört wohl mit dazu.

Auf der Festwiese waren die Zelte im Start- und Zielbereich so aufgebaut, als seien sie zwischenzeitlich nie weg gewesen. Beim Start herrschte Gelassenheit, zumindest im hinteren Feld. Bei ungefähr 300 Startern für den Marathon wurde es auch nicht eng. Gut dran waren alle, die sich Sonnenschutzcreme aufgetragen hatten, und die, die sich mutig für kurze Bekleidung entschieden hatten. Und so liefen wir unter blühenden Bäumen erst durch die kleine Stadt, dann in die Landschaft hinein.

Im ersten Dorf will man offensichtlich an einem Wettbewerb „Unser schönes Dorf“ teilnehmen. Zwischen Straße und den sozialistisch sachlichen Wirtschaftsgebäuden des landwirtschaftlichen Großbetriebes ist ein Erdwall aufgeschüttet worden, der gerade, als wir vorbeiliefen, mit kleinen Büschen bepflanzt wurde. Der Pflanzer hielt manchmal inne und sah den Läufern zu.

Bald kam dann der Anstieg, der erst durch blühende Rapsfelder, dann durch ergrünenden Wald schließlich zum Kyffhäuserdenkmal führt.

Wenn man die Plattform unterhalb des Denkmals erreicht hat, ist schon etwas über die Hälfte des Marathons gelaufen. Ich schätze es, wenn sich eine Strecke durch so unterschiedliche Elemente abwechslungsreich gliedert. Dort gab es unter anderem Schwarzbier und Haferschleim, Kraftnahrung für den Rest.

Bei einer anderen Gelegenheit war ich einmal oben im Aussichtsturm. Von dort blickt man in die Goldene Aue, fruchtbares Land, vom Wetter verwöhnt. Und weil sich das damals so anbot, hatte man aus verschiedenen Ackerpflanzen ein Flächenkunstwerk angelegt, ein Rechteck mit einer Art Lilie darauf, hunderte von Metern lang und breit. Das strahlte monumentale Heiterkeit zu dem mythenschweren Denkmal hinauf, ein schöner Gegensatz.

Nach allerlei Waldwegen kam dann das angenehmste Stück der Tour: hinunter durch blühende Kirschbäume in das zweite Dorf. Ein kleines Mädchen in Sandalen begleitete mich vom Dorfrand und erzählte mir aufgeregt, welche guten Getränke man am nahen Verpflegungsstand hätte. Ja, auch Bier war wieder dabei. Danach kam das lange Stück hinauf zum Segelflugplatz. Ich unterhielt mich mit einem Läufer, der meinte, wir seien alle außerordentlich privilegiert, dass wir diesen Frühlingstag so erleben könnten. Er sprach mir aus der Seele. Denn gleich darauf, wie zur Bestätigung seiner Aussage, erschien das Bauernkriegsdenkmal an unserer Strecke. Auf diesem Boden, wo wir wieder einmal heiter und unbeschwert die Explosion des Frühlings erlebten, haben Tausende von Menschen, erfolglos kämpfend gegen willkürliche und grausame Feudalherrschaft, ihr Leben gelassen. Daran erinnert das riesige Panoramagemälde im Inneren des Rundbaus. Darauf ist nicht nur die Schlacht dargestellt, sondern der ganze damalige Kosmos, alles damalige Wissen in Andeutungen und Symbolen. Ein würdiges Denkmal haben die Toten damit erhalten. Auch als Laie kann man stundenlang das Gemälde betrachten, so viel ist darauf zu sehen. Es sind da gepolsterte Sitzbänke, auf denen man sich bequem niederlassen kann, und dann gibt es halbstündige Zyklen, zwischen denen das Licht gedimmt wird, die meisten Besucher verlassen den Raum in der Dunkelphase, und wenn es wieder hell wird, kommt eine neue Führung mit einem neuen kunstkundigen Führer, der ganz andere Schwerpunkte setzt als sein Vorgänger, jedoch alle zeichnet aus, dass sie eine Begeisterung für das Kunstwerk haben, man hört keine lustlos abgespulten Phrasen.

Was das mit Laufen zu tun hat? Eigentlich nicht so viel, aber weil Laufen selbst halbwegs langweilig ist, finde ich das, was am Wegesrand sich so bietet, ziemlich wichtig. Da läuft man dann irgendwo, der Kopf ist klar, aufgeräumt und frei für Wahrnehmungen aller Art und für Erinnerungen und Verknüpfungen. Vielleicht ist das das Beste am Laufen.

Übrigens gibt es noch einen Lauf über ein Schlachtfeld mit Massengrab. Das ist der Halbmarathon meines Vereins bei Schloss Wilhelmstal in der Nähe von Kassel, der dort alljährlich wie ein Spätsommerritual stattfindet. Dort hat eine Entscheidungsschlacht des Siebenjährigen Krieges stattgefunden, Engländer gegen Franzosen, aber mit vielen deutschen Soldaten, die Schlacht ist ungefähr halb so lange her wie der Bauernkrieg. Dann laufen wir über die Gräber von ungefähr 3000 Gefallenen. An sie erinnert dort allerdings kein Denkmal, lediglich eine kleine Ausstellung mit Zinnsoldaten im nahen Schloss. Ungerecht ist das Schicksal. Die einen liegen in Massengräbern, die anderen trappeln fröhlich darüber weg.

Als ich, im Ziel angelangt, mich im Schwimmbad meiner verschwitzen Kleidung entledigte, sah ich, dass ich Füße wie im Sommer hatte: über den Söckchen ein scharfer Rand von rotem Staub an den Beinen. In putzigem Bürokratendeutsch fordern in der Dusche Schilder zur „gründlichen Körperreinigung“ auf, im Bad verbieten sie das „Einspringen vom Beckenrand“.

Ich weiß nicht, warum das so ist, aber jedes Mal, wenn ich am Kyffhäuser war, gab es motortechnische Besonderheiten. Vor Jahren stand ein Auto so verquer über dem Ende eines Grabenrohres unter einer Feldeinfahrt, dass ich keine Idee hatte, welche Art von Fahrfehler es dorthin befördert hatte, erst recht nicht, wie es dort wieder wegzubekommen sei. Am Abend war es dann aber verschwunden. Diesmal fuhr da ein Auto ohne Nummernschild, auch nicht im Rückfenster. Weil es doch unvollständig war, war ich ganz perplex, dass es überhaupt fahren konnte. Dann kam ein knuffiger kirschroter Trabi vorbei, frisch glänzend wie durch Nagellack gezogen, wie Lider auf den Scheinwerfern kirschrote Blenden, was wie ein verhangener Blick aussah: eine Art Schlafzimmerauto. Doch das Beste kam zuletzt. Im Ziel kündete die Zielsprecherin an, nun sei es doch allmählich Zeit Schluss zu machen, der Besenwagen sei unterwegs, und ich dachte schon ein wenig ärgerlich, nun fangen sie auch hier schon an, mit Schlusszeiten herumzustressen. So war das aber nicht gemeint. Das mit dem Besenwagen war eine Option, wie sie sich einem selten bietet, denn der Besenwagen war ein antikes Motorrad mit Beiwagen, ein leibhaftiger Reisigbesen war auch darin. Ich kenn mich ja nicht so aus, aber es war so ein Typ von Motorrad, wie man ihn Mitte des letzten Jahrhunderts benutzte, archaisch und ehrlich, ohne Designerschnickschnack, der Lenker aus geradem Rohr wie bei einem Fahrrad. Als er auf der Festwiese stand, saßen gleich Kinder darin und setzten sich die Stahlhelme auf, die als Schutzhelme vorgesehen waren.

Diesen stilvollen Abschluss erlebte ich bei Softeis und Bratwurst am Tisch, an dem sich viele Ultramarathonläufer versammelt hatten, alles liebe alte Bekannte. Eine Urkunde hatte es natürlich auch gegeben. Als ich beiläufig einen Blick auf mein Exemplar warf, erschrak ich mich: Fettflecken. War ich mit meiner Bratwurst zu nahe gekommen? Ein Blick gegen die Sonne brachte Klarheit. Die dunklen Flecken sind gestalterisches Element auf dem Papier. Auf der Ausschreibung für den Kyffhäuser Berglauf für das nächste Jahr sind wieder die vertrauten Läufer abgebildet, und sie schweben über das Denkmal und den Wald, wie hochfliegende Käfer.

Nach dem abgetretenen Rasen der Festwiese in Bad Frankenhausen zu urteilen, war dort an diesem 14. 04. 2007 gewaltig was los.

Fotos sind auf meinem Space isasport.spaces.live.com im Album „Kyffhäuser“.


© Elisabeth Herms-Lübbe, 28.04.2007

Weitere Info's und Berichte zum Lauf:


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