Alle zeigen - Bericht von Roland Rothfuß zum 60 km-Ultramarathon in Euerbach bei Schweinfurt:
Roland Rothfuß , 23.07.2007

Requiem auf 60 Km-Euerbach/ Schöpferische Leere...

Euerbach in der Nähe von Schweinfurt: Ein kleines, etwas geruhsames Dorf- aber nicht, wenn der Ultra stattfindet ! Dann steppt der Bär und pfeift das Schwein...Da sitzen die meisten Bewohner an der Laufstrecke, die mitten durch ihren Ort führt und feuern die Läufer frenetisch an. Sie haben es sich gemütlich gemacht, mit Sonnenschirmen und Verpflegung und harren aus bis zum Schluß- ein Super-Publikum !
1989 und 1990 zog es mich auch hierher und ich habe es nicht bereut...

Ich stehe am Start dieses 60 Km-Laufes, bin zwar angespannt, aber dennoch locker. Nach meinem 5. Biel in Folge und ausgestattet mit einer neuen persönlichen Bestzeit wird dieser kleinere Lauf wohl keine größeren Probleme bereiten, denke ich- ein Trugschluß...

Gestern Abend war Carbo-Loading im Sportheim, alles sehr reichlich und liebevoll gemacht.
Jetzt stehen wir unter einem großen, mit bunten Luftballons geschmückten Tor. Gleich nach dem Start hetze ich los und weiß natürlich, daß ich dieses hohe Tempo einfach nicht mag. Etwas über meinem Marathon-Renn-Tempo, aber 60 Km soll das so gehen.

" Relativ flache, aber nicht einfache Strecke mit zwei Anstiegen, " meint die Ausschreibung. Da kommt schon der erste Anstieg, oben eine Verpflegungsstelle, dann eine lange Gerade, eine gesperrte Straße. Hier herrscht den ganzen Lauf über heftiger Gegenwind, macht die Sache nicht einfacher. Dann geht es runter auf einen Wiesen-Trail und da sind sie, die sogenannten " GOLAN-HÖHEN..." Ein kurzer, aber sehr giftiger Anstieg; die Leute vom Orga-Team haben diesen Abschnitt extra für uns mit feinem Schotter präpariert- doch heute regnet es nicht, es ist ziemlich warm und trocken. Macht nix, bin hitzefest...

Oben auf den Golan-Höhen eine Wasserstelle, dann folgt ein langgezogener Abstieg, der sehr schnell gelaufen werden kann- geht aber in die Beine. Von oben sieht man schon den Ortsanfang von Euerbach und hört auch das muntere Publikum. So nach 2 Km etwa erreiche ich wieder die ersten Häuser und werde angefeuert, genieße die Hatz durch das Dörflein. Da steht auch meine Frau, durch den Luftballon-Triumphbogen und ab in die zweite Runde.

Dieser Rundkurs ist insgesamt 10 Mal zu absolvieren zuzüglich einer Anfangsschleife von etwa 2 Km. Mit jeder Runde empfinde ich den Gegenwind immer heftiger und die Golan-Höhen sind wirklich schwer zu nehmen. Liebe Leserin und Leser, ihr kennt das ja aus eigener Erfahrung: Manch steiler Berg läuft sich relativ leicht und manch unscheinbaren Hügel kommt man sehr schwer hoch. Diese Golan-Höhen gehören zu der letzten Kategorie und werden von Runde zu Runde immer problematischer. Ich habe frühzeitig zu kämpfen, um das für mich unangenehm-hohe Tempo halten zu können...

Dieser Lauf streßt mich ganz schön schon in der zweiten Runde, doch als ich an meiner Frau vorbeikomme, lächle ich sie und auch das nachfolgende Publikum an. Das mache ich immer, egal wie dreckig es mir gerade geht.
Dann höre ich später Kommentare etwa wie: " Bist ja locker durchgefetzt, war wohl nicht so schlimm? " Nach diesem Lauf werde ich ein supertolle Urkunde per Post erhalten mit einem wunderschönen Foto- und einem total angespanntem Gesicht, hart und keine Spur von Grinsen- der Fotograf hat mich voll erwischt...

Kennt ihr das: Morgens beim Aufstehen denkt man schon an die Tagesaufgaben, beim Duschen überlegt man, was man nachher ißt ( HUNGER ! ) und beim Frühstück liest man nebenher die Zeitung. Im Auto überlegt man dann kurz, was man eigentlich gegessen hat und was doch gleich die Ehefrau noch zuletzt gesagt hat. So wird man immer hektischer und nervös, ein Getriebener- die Gedanken kreisen unaufhörlich um irgendein Thema und verursachen mal Freude, aber auch UNBEHAGEN und ANGST vor irgendwelchen Ereignissen, zum Beispiel einem Ultra-Lauf oder einem Zahnarzt-Besuch. Die Zweifel machen einem zu schaffen, lähmen- und nachher kommt es ganz anders...

Vor langer Zeit habe ich das bei mir nach und nach, aber radikal geändert: Heute freue ich beim Aufstehen zunächst über den schönen Morgen und daß ich fit bin, beim Duschen genieße ich erst das heiße, dann das eiskalte Wasser und die Erfrischung und erst beim Frühstück: Da schlemme ich lange und genußvoll ( zwar lauter gesunde Dinge, doch die schmecken wundervoll ! ). Fahre ich, bin ich voll konzentriert und bin mir meiner Verantwortung bewußt: So lebt man sehr intensiv im HIER und JETZT, spart sich manchen Zweifel und Ängste und verbringt den Tag entspannt und glücklich. Man leistet sich den Luxus, mit weniger glücklich zu sein, es ist ein einfaches, aber zufriedenes Leben.

JA, ODER GEHT DAS NUR MIR SO??? Glaube ich nicht...

Auch hier in Euerbach profitiere ich wieder davon, daß ich loslassen kann. Die Wärme und der Wind nerven, und plötzlich meine ich eine Schwelle überschritten zu haben: In meinem Oberstübchen wird es plötzlich ganz ruhig, die Gedanken ziehen dahin wie eine sich auflösende weiße Wolke, ich fühle das Brennen meiner Oberschenkel-Muskulatur nur noch wie durch Watte und wie wenn es mich nicht mehr angeht. Zugleich bin ich fröhlich, obwohl ich wie ein Schweizer Uhrwerk laufe- alles geht vollautomatisch: Verpflegungsstand, ein Becher Wasser und einer mit Iso, verschluckt- Husten, weiter, was interessieren mich meine geplanten Zwischenzeiten, die ich jedoch planmäßig mitstoppe. Die noch anstehende Zeit für die restlichen Runden ist mir egal, die zweite Hälfte geht trotz fortschreitendem körperlichem Verfall immer schneller vorbei, ich lasse den Gegenwind ohne ihn zu hassen einfach durch mich hindurch.

Den Wind zu hassen, wäre Energieverschwendung...Am Straßenrand sehe ich eine kleine Blume, ein sogennanntes UNKRAUT, ich lächle ihm zu. " Laß`Dich ja nicht unterkriegen, " denke ich zum dem Blümchen hinüber und weiß, daß es mich versteht.

Sagt jetzt einer: " Durchgeknallt ", so kann ich das auch verstehen...Ich habe das Fühlen eines Kindes erreicht, und diese LEERE in mir ermöglicht doch erstaunliche Laufleistungen- kennt ihr ja von euren eigenen Läufen, Nichtläufer können das nicht oder nur sehr schwer nachvollziehen.

Und nicht nur das- auch geistig kommt etwas in Bewegung: So fühle ich mich mit allen Lebewesen EINS und kann sie alle mit ihren Eigenheiten verstehen und TOLERIEREN. Selbst
einem Feind könnte ich jetzt vieles verzeihen- aber in der Praxis funktioniert das umgekehrt eher selten...Dieser Zustand ist nicht das oft zitierte " runner`s high, " das nur kurz auftaucht und bei mir nur, wenn es gut läuft. Nein, dieser Zustand an einer gewissen Grenze ist immer erst bei einer fortschreitenden Erschöpfung erreicht, wenn man etwas müde- und LEER wird.

Man denkt nicht mehr, sondern handelt nur noch spontan/ automatisch. Und diese LEERE ermöglicht uns, schöpferisch tätig zu sein, will sagen, einen Ultra auch gegen sämtliche Widerstände zu finishen. Ich bin Eins mit den gerade herrschenden Umständen, gelassen und vergleichbar etwa mit einem Spiegel, der auch ohne zu beurteilen Dinge spiegelt- die Dinge sind, wie sie sind, und wie sie sind, sind sie gut: Sie können gar nicht anders sein...

Doch zurück nach Euerbach: Die Runden addieren sich langsam auf, ich bin nun in der neunten und fighte, denn diese Runde nimmt kein Ende. Nicht die Strecke, das Tempo tötet, das zeigt sich jetzt wieder deutlich. Irgendwann beginne ich zum letzten Mal die Runde, die letzte; und jetzt merke ich einen Adrenalin-Stoß, bin plötzlich wieder zurück aus meinem Watte-Wolkenheim, rechne mir die Schluß-Zeit aus und brettere durch die Botanik, als liefe ich gerade 20 Minuten. Alle Müdigkeit und Verspannungen sind weg, Golan-Höhen locker `rauf und fast anaerob hinunter.

Am Ortsanfang setze ich mein Lächeln auf, es kommt sogar von selbst, die Emotionen steigen hoch, ich bin superglücklich. Durch das Luftballon-Tor: und ich kann mich hinsetzen, welche Wohltat !
Diesen Lauf beendete ich als 20. der Gesamtwertung von 119 Startern, in der M 40 reichte es zu dem 3. Platz und einem schönen Pokal, fertig war ich im doppelten Sinn nach 4:39:25 h.

Und dann kam das absolute High-Light von Euerbach: Die Kuchentheke, die im Foyer der Sporthalle aufgebaut war. So viele Sorten Kuchen und so wohlschmeckende auf einer Theke sah ich seither nie wieder, CHAPEAU, liebe Euerbacher Frauen !!!

Im nächsten Jahr war ich wieder am Start- es wurde ein absoluter Hitze-Lauf. Schatten gibt es auf der gesamten Stecke nicht, meine Zeit war auch etwas schlechter. Anschließend lag ich 10 Minuten platt im Sanitäts-Zelt neben Kollegen, die sich kühlen ließen. Doch dann schlich ich doch noch zur Kuchentheke- und mein robuster Magen hatte viel zu tun...

2006 fiel nun der Vorhang für diesen etablierten Lauf, der mit so viel Herzblut und Sorgfalt jedes Jahr abgewickelt wurde- ich sage dem Orga-Team DANKE für zwei wunderschöne Rennen, die ich nie vergessen werde.

Auch das habe ich schon gelernt: Leider enthält jeder Neuanfang schon -unsichtbar für uns Menschen- das Ende...Das gilt für jeden Ultra, alle Phänomene und uns selbst- laufen wir also fröhlich, solange es noch läuft...Und auch wenn mich Widrigkeiten ausbremsen wollen, ist grundsätzlich mein Motto: Tag für Tag ein GUTER TAG. Hat mein Geschreibe auch nur einer oder einem Freude gemacht, ist es gut- wenn nicht, tut es mir leid...

© Roland Rothfuß, 23.07.2007

Weitere Info's und Berichte zum Lauf:


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