Alle zeigen - Bericht von Elisabeth Herms-Lübbe zum thüringenULTRA:
Elisabeth Herms-Lübbe , 08.07.2008

100 km durch Thüringen

Eigentlich wollte ich schon im letzten Jahr zur Premiere dorthin. Da hatte ich aber etwas Angst vor den 16 Stunden Zeitlimit für die Strecke mit 2100 Höhenmetern. Dieses Jahr war mehr Zeit drin.

Dank der Wegbeschreibung auf der Website des Veranstalters war Fröttstätt, ein Ort zwischen Eisenach und Gotha, den man sonst nicht so kennt, gut zu finden: bei McDonalds geradeaus durchs Feld. Fröttstätt hat einen recht hübschen beschaulichen Dorfkern mit Fachwerkhäusern und Bauerngärten, in denen in Reih und Glied Erbsen reiften für den Hausgebrauch. Und es hat hinter dem Feuerwehrhaus eine große schattige Festwiese mit einem Dorfgemeinschaftshaus. Beides war das Herz des zweiten Thüringenultras am 5. Juli 2008.

Auf der Festwiese wurde gezeltet, und auf der Terrasse des Dorfgemeinschaftshauses war gerade noch Nudelparty, als ich ankam. Es ist bei einer Startzeit von 4.00 Uhr richtig komfortabel, wenn man in unmittelbarer Nähe zum Start übernachten kann. Zum ersten Mal seit Jugendtagen wollte ich wieder im Auto schlafen, diagonal kann ich mich auf der Ladefläche ausstrecken, das hatte ich zuhause geprobt. Man konnte auch auf Feldbetten schlafen, an alles war gedacht.

Ich hatte mit noch mehr mir bekannten Läufern bei der Nudelparty gerechnet, aber wie das so ist zur besten Sommerzeit, es gab noch allerlei Konkurrenzveranstaltungen an diesem Wochenende. Aber der Thüringenultra ist näher dran am urigen, ursprünglichen und elementaren Lauferlebnis, und alle, die gekommen waren, hatten sicherlich eine gute Wahl getroffen. Ach, der Sommer müsste viel länger sein für all die schönen Veranstaltungen!

Es war noch hell und noch keine 22.00 Uhr, da war das Leben auf der Terrasse, der Festwiese und in den Gemeinschaftsunterkünften völlig erloschen. So viele erwachsene Menschen schon so früh im Bett! Da zog ich mich auch in mein Auto zurück.

Als das Handy „Zeit aufzustehen“ gemeldet hatte, stieg ich barfuß ins taunasse Gras, und – o weh – die Landluft! Es roch nach Gülle. Erst Zähne putzen und Kaffee trinken, bevor es da zu voll wurde. Die Tücken des Ankleidens im Dämmerlicht hatte ich unterschätzt. Mal war der Fotoakku weg, mal die Ohrringe, und dann fiel mir noch mein nützlicher Allzweckstift aus Vaseline mit Sonnenschutzfaktor in die Dunkelheit unter dem Auto. Mit Ausrüstungsmängeln und buchstäblich in letzter Minute habe ich es zum Start geschafft.

Dann ging es los in den frühen Morgen hinein. Kunstvoll ausgehöhlte und von innen brennende Baumstämme schmückten den Weg anfangs, da hatte die Feuerwehr ganze Arbeit geleistet. Später waren noch kleine Lichter am Rand, alles sorgfältig gekennzeichnet, wie überhaupt die ganze Strecke. Hunderte, wenn nicht gar tausende von Flatterbändern hingen da, Markierungen waren auf den Boden gesprüht und darüber hinaus waren Schildchen mit Pfeilen und dem Thüringenultralogo an Abzweigungen befestigt. Wer sich da verlief war selber schuld. Trotzdem habe ich mich dreimal verlaufen: einmal standen Trunkenbolde an der Abzweigung bei der Ebertswiese, ich war abgelenkt und bin falsch den Berg hoch, ein anderes Mal saßen Leute mit einer Kanne im Garten, in der Kaffee zu sein schien, und während ich überlegte, ob ich mir nicht eine Tasse erbitten sollte, war es schon passiert, und beim dritten Mal hatte ich Bier getrunken. Aber das war alles nicht so schlimm.

Zunächst aber begann der strahlend schöne Julitag, der ganz mit Laufen ausgefüllt werden sollte. Es ging durch Felder, die schon nach Reife dufteten, auf den nächsten Ort zu. Von weitem sah man den Inselsberg dunkel aufragen. Die Autobahn, auf denen Lastwagen friedlich und gleichmäßig in beiden Richtungen dahinzogen, wurde unterquert.

Dann ging es allmählich hoch in den Thüringer Wald. Der Thüringenultra hat an Landschaft und an optischen Höhepunkten viel mehr zu bieten als der Rennsteiglauf. Bald führte die Strecke um Brotterode herum. Stundenlang waren Wegweiser zu sehen, nach denen es auf Wanderwegen nicht weit bis dorthin war. In Brotterode war ich schon einmal. Je älter man als umtriebiger Mensch wird, umso größer die Wahrscheinlichkeit, dass man an einem Ort schon mal war. Da habe ich beim Skifahren kurz nach der Wende meine erste Soljanka ( lecker saure Gemüsesuppe mit Wurst ) gegessen. Jetzt mal Suppe zwischendurch wäre nicht schlecht gewesen, Soljanka to go. Aber es gab mehrmals salzige Brühe, auch gut.

Unterwegs wurden sehr viele professionelle Fotos gemacht. Ich lächelte immer, denn es könnte ja mein letzter langer Lauf sein, dann hätte ich wenigstens schöne Abschiedsbilder. Ja, ich hatte wieder die bekannten „Nie wieder“ - Gedanken. Aber das wäre wirklich schade für dies liebevoll organisierte Ereignis. So viele Verpflegungspunkte, so viel Aufmerksamkeit und Aufmunterung. Da wurde man weiter getragen. Gut ins Ziel zu kommen ist bei so viel Aufwand eine Art Höflichkeit oder Verpflichtung den Veranstaltern und Helfern gegenüber.

Es folgte der Komfortabschnitt des Thüringenultras: Teerstrecke bergab auf einer alten Eisenbahntrasse mit Fernblicken. Feuerwehrleute in voller Montur saßen am Rande in der Sonne und passten auf. Sie taten mir Leid mit ihren strengen Bekleidungsvorschriften. Im T-Shirt hätten sie doch auch kollabierte Läufer retten können.

In Seligenthal war etwas mehr als die Hälfte der Strecke absolviert. Wenn man vergleicht mit den 100 km von Biel, ist Seligenthal das Kirchberg des Thüringer Waldes. Da war es vorbei mit der Bequemlichkeit, es ging noch einmal ordentlich bergan zum Rennsteig hoch. Als der überquert war, gab es wie bei Biel an der gleichen Stelle einen Wasserlauf neben dem Weg, bei dem ich hier wie da immer denke, jetzt müsstest du dich da lang hineinlegen und abkühlen. Eine andere Abkühlung besorgte ich mir kurz entschlossen, als ein Aufsteller neben dem Weg nicht zu übersehen war: Eis.

Am belebten Freibad von Tambach-Dietharz vorbei trug ich meine Eiswaffel zum nächsten Verpflegungspunkt, wo ich dann dafür getadelt wurde („Sie sind wohl nicht von hier“): er war direkt vor der Eisdiele „Eskimo“ aufgebaut, worin es sicherlich viel besseres Eis gab. Ich denke, Eis zwischendurch ist eine sehr gute Idee, besonders, wenn beim Laufen der Magen dichtmachen will. Und das darf er natürlich nicht, genauso wenig wie die Beine. Nicht umsonst bekommt man aus dem gleichen Grund bei Gourmet-Schlemmer-Mahlzeiten zwischendurch Zitronensorbet. Ohne jetzt kritisieren zu wollen, kann man allgemein wohl sagen, dass das kulinarische Potenzial bei Ultraläufen noch nicht ausgereizt ist.

In Tambach-Dietharz war ich auch schon mal kurz nach der Wende in einem schneearmen Winter nach mäßigem Skigenuss. Da war der Ort grau und menschenleer und wir in unseren schockfarbenen Skioveralls mit mächtigen Schulterpolstern haben, von heute aus gesehen, nicht gerade zur Verschönerung beigetragen. Damals war es ungefähr der trübste Ort Deutschlands. Da sah jetzt ganz anders aus. Aber eine Fremdartigkeit fiel mir noch auf: Die Mülltonnen stehen nicht in Straßennähe. Als mir meine Eiswaffel gar nicht mehr schmeckte, wollte ich sie in eine Mülltonne stecken, aber da waren keine, die sind wohl alle hinter den Häusern versteckt. Zum Glück waren in einem Garten Schafe, die haben sie hoffentlich gefressen.

In Finsterbergen war das nächste verlockende Freibad. Der Rest der Strecke sei nur noch Pillepalle, meinte jemand. Na ja. Ein Viertel war noch zu bewältigen.

Die nächsten Orte waren Friedrichsroda und Tabarz. Da sah man stattliche Gründerzeitvillen, die sich seinerzeit reiche Berliner zur Sommerfrische gebaut haben. Die größte Villenansammlung Deutschlands aus der Zeit ist hier am Rande des Thüringer Waldes. Als Liebhaber kann man noch heute preiswert eine kaufen. Man renoviert sie, bis alles Geld weg ist, und dann kauft der nächste Liebhaber sie preiswert usw. Manchmal sah man auch Villen, die hatten keine Liebhaber gefunden, das sind heute Fälle höchstens noch für Archäologen.

Der Wald wurde verlassen, die Gegend war trocken wie in der Heide, und man erblickte schon das bekannte Schild von McDonalds neben der Autobahn. Von fern tönte Musik, unterbrochen durch Ansagen. Hörte man da den Zieleinlauf? Leider nein, es waren noch weitere fünf Kilometer, die sich naturgemäß lang hinzogen. Es gab noch ein Umweg durch ein Gewerbegebiet, in dem man von Musik des letzten Verpflegungspunktes beschallt wurde. Ganz schön mutig mit so lauter Musik. Im Gewerbegebiet stört das wohl keinen.

Im Ziel bekam ich noch viel Beifall. Mit einem Glas Sekt, einer Medaille und einer Urkunde wurde ich begrüßt. Das war die schnellste Urkunde meiner Laufkarriere, etwa eine Sekunde zwischen Einlauf und fertigem Druck. Auf der Terrasse tanzten noch einige Übermütige, ich bekam einen Kaffee gekocht und eine Massage, die so lang und so sorgfältig war, dass der Muskelkater einen Tag später einsetzte.

Ein hartes Stück Arbeit war wieder einmal geschafft. Arbeit meine ich physikalisch. Auch wenn es mühsam war: Man sollte nie vergessen, hier waren Luxusmenschen bei einer Luxustätigkeit auf einer Luxusstrecke unterwegs. Irgendwie ist es schon ein Privileg, so dabei sein zu können. Selbst wenn man langsam ist wie ich. Weil es nicht in der Ergebnisliste steht, ich weiß nicht warum, das kommt wohl noch, hier meine Zeit: 17:20:38.

Eine Überraschung waren meine Füße. Völlig unbeschädigt! Ich hatte meine größten Schuhe angehabt, und die waren unterwegs nicht nass geworden. Obendrein hatte ich wieder meine selbst genähten Gamaschen an. Die sind leicht, luftdurchlässig, waschbar und sehen ganz ordentlich aus, und es fällt kein Steinchen mehr in die Schuhe. Als ich mal keine passenden Gamaschen zu kaufen fand, habe ich selbst angefangen zu basteln. Sie zu nähen war weiter nicht aufwändig. Wen es denn interessiert: demnächst, so etwa ab Ende Juli, nähe ich mal wieder welche, mache Fotos dabei und stelle eine Anleitung hoch auf meinem Space http://isasport.spaces.live.com

Der letzte Läufer bekam beim Zieleinlauf eine Laterne in die Hand, bei der Feuerwehr denkt man an so etwas. Herzlich und gut durchdacht bis ins Detail ging es in Fröttstätt zu. Die Erinnerung an das Laufereignis wärmt schon jetzt das Herz. Da will man immer wieder hin.






© Elisabeth Herms-Lübbe, 08.07.2008

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