Alle zeigen - Bericht von Steffen Fennig zum Lauftage 100 KM Biel-Bienne:
Steffen Fennig , 11.07.2008

Tagebuch eines Wahnsinnigen Teil I

Freitag 13.06.2008
05:30
Der Wecker klingelt, entgegen meiner sonstigen Gewohnheit stehe ich sofort auf, gehe ins Bad, mache mich frisch, schnappe die gepackten Sachen, werfe ein „Bussi“ ins Schlafzimmer und fahre zu meiner Ultra Begleiterin Eva. Von dort geht es pünktlich los in die Schweiz, nach Biel. Eva fährt. Okay einen Zwischenstop haben wir uns gegönnt. In Zürich haben wir Schokolade gekauft, im Outlet so 3 kg. Aber dann ging es weiter. Endlich angekommen in Boudevilliers im La Croisee sofort aufs Zimmer, ausruhen zwei Stunden.

16:00
Aufstehen, frisch machen, schon mal die Laufklamotten anziehen und langsam losfahren. In Biel angekommen geht es gleich vom Parkplatz zur Eishalle, dort Startnummer abholen, rumgaffen, Nudeln essen. Pro Portion 10 Franken, liebevoll auf den Teller gelegt von einem jungen Mann mit Gummihandschuhen. Sah eher nach Operation aus, als nach Essensausgabe. Geschmack war aber voll okay. Passend zu den Gummihandschuhen waren Plastik Teller und Kunststoff Besteck im Einsatz. Wieder zum Auto und anderen Läufern bei der Vorbereitung zugesehen, wie sie sich eincremen, die Scheuerstellen schützen, sich dehnen. Für mich alles viel zu wuselig. Eva und ich unterhalten uns über unsere Jugend, Männer und Sex. Oder wir dösen einfach vor uns hin. Für mich ist vor so einem Lauf die Ruhe wichtig, da pendele ich mich noch einmal ein. Zwischendurch wandere ich an den anderen Autos vorbei, in Richtung grüne Wiese. Die Blase fordert ihr Recht, schliesslich muss ich dafür sorgen, dass ich hydriert bin. Die Pflanzen werden aber nicht nur von mir gedüngt. Zwischendurch entdecke ich noch ein Mitglied der Kelly Family. Aha, der wird sich also auch hier quälen.

21:30
Jetzt lässt es sich nicht mehr vermeiden. Aufstehen, alles zurecht rücken, den Camelback festschnallen, auf in Richtung Zelt. Im Zelt entdeckt Eva noch einen Bekannten, den Roland. Ich spiele an meiner Kopflampe herum und zack, schon ist die gute Markenqualität kaputt (Kaffeeröster). Ist aber nur abgebrochen, in der Hand funktioniert sie noch, da ich mich sowieso in einer Art Trance befinde, ist mir das irgendwie scheißegal. Endlich geht es zur Startaufstellung. Alles ist freudig erregt, zweisprachig donnern die schnittigen Durchsagen über die Lautsprecher, deutsch und französisch. Ich bin irgendwie froh, kein Engländer zu sein. In einer kleinen Ecke meines Kopfes schreit es: „Du bist verrückt, das schaffst du nie, was bildest Du dir ein.“ Aber ich erhalte mir Gott sei Dank den Zustand, den ich vorher hatte. Ich bin ziemlich geistesabwesend und glaube mir einfach selber nicht, dass ich jetzt 100 km laufen will. Countdown 10 – 0 und endlich geht es los. Für dieses Ziel habe ich monatelang trainiert, Wochenenden geopfert, bin in den Mittagspausen gelaufen, es muss einfach klappen. Eigentlich ist der Start ziemlich zügig, ab der Startlinie geht es im Laufschritt vorwärts, es gibt keine Startmatte, ergo auch kein Brutto/ Netto. Ist das wichtig? Das werde ich entscheiden, wenn es vorbei ist.
22:00:30
Ich laufe an Eva vorbei, die an der ersten Kurve steht, winke Ihr zu und hoffe, dass sie die vereinbarten Treffpunkte findet, an denen ich sie erwarte. Es geht durch die warme Nacht. Nach 20 Minuten stelle ich fest, dass es die falsche Entscheidung war, die Laufjacke anzuziehen. Es ist warm, wir laufen immer noch durch Biel. Die gesamte Innenstadt wird durchquert. So groß hatte ich die Stadt gar nicht in Erinnerung, aber klar mit dem Auto ist man etwas schneller unterwegs. Mir laufen Bäche von Schweiß herunter, was mich zu der Entscheidung bringt, die Jacke abzustreifen und zwischen Camelback und Futtergurt festzuzurren, wo meine Gels stecken. Wie viele von diesen Ekel-Süss-Schlabber-Dingern werde ich mir wohl einpfeifen? Den Weg kann man nicht verfehlen, es befinden sich immer einige andere Läufer in der Nähe und der Weg ist gut beschildert. Endlich ist der Ort zu Ende und wir stapfen in die dunkle Nacht. Hallo erste Etappe, Hallo 100 km. Nach etwa zwanzig Kilometern wird mir plötzlich schlecht. Ich muss fast kotzen, es würgt mich. Ist das schon das Ende? Ich denke mal ich habe bis hierhin zu wenig getrunken und war etwas zu schnell. Also Energie Bilanz verbessern. Mehr essen und trinken und langsamer laufen. Nachdem ich diesen Entschluss gefasst habe, geht es mir schlagartig besser. Jetzt nehme ich sogar wieder Reize aus der Umwelt wahr. Ab und an ein „passage“, wenn ein Marathon Läufer oder Stafette oder Halbmarathon vorbei möchte. Sonst geschäftiges Stapfen. Obwohl ich mit keinem rede, ist es angenehm, dass immer jemand vor und hinter einem läuft. Die Posten an den wichtigen Kurven sorgen dafür, dass wir uns nicht verlaufen. Es ist zwar Nacht, aber es ist nicht ganz dunkel. Ich kann auch ohne Stirnlampe klar erkennen, wo es weiter geht. Die anderen Lampen wippen auf und ab, wie eine kleine Glühwürmchen Lichterkette. Unterbrochen wird das Laufen durch kleine Aufenthalte an den Verpflegungsständen. Die ersten 30 km läuft man dort Gefahr erdrückt, geschubst, gnadenlos zur Seite gedrängelt, den Becher vor der Nase weggeschnappt zu bekommen. Komisch dachte ich mir noch, was sind das denn für Ultra Sitten, mich an den Rennsteig Lauf zurück erinnernd. Aber dann kam mir auch ohne Lampe die Erleuchtung. Das waren nicht die Ultra Läufer, sondern alle anderen „Kurz“ Strecken. Denn ab dem km 40 wurde es wieder so, wie ich es gewohnt war. Ruhig nahmen wir uns den Becher, das trockene Brot, die Früchte. Standen ruhig am Stand ohne uns viel zu bewegen, achteten rücksichtsvoll darauf, niemanden zu behindern, mampften und passten auf, auch genug zu uns zu nehmen. Lächelte mal dem einen mal dem anderen Mut zu und weiter ging es in die Nacht. Dort nur fast schon zu sehr geblendet durch die Fahrradbegleiter, die sich dort Coach nennen. Diese Neon Grell Leucht Lampen waren für meine Begriffe eher störend, aber das Reglement lässt diese Begleitung zu, also da muss man durch.
04:40 Stunden später
Ich treffe bei ca. km 38 das erste Mal auf Eva. Lass meinen Tank vom Camelback auffüllen, sage Ihr, dass ich neue Schuhe und Socken brauche. Bekomme ein paar Gels, erfahre wie sie den Weg gefunden hat und weiter geht es. Meine Uhr zeigt keine Uhrzeit an, das will ich mir nicht antun. Nur die Zeit, die vergeht ist wichtig. Jetzt bin ich auch im richtigen Rhythmus. Der kleine Hänger von km 20 ist kaum noch zu spüren. Aber es liegen noch 60 km vor mir.



© Steffen Fennig, 11.07.2008

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