Alle zeigen - Bericht von Rainer M. Halmen zum 7. Schorfheide-Lauf:
Rainer M. Halmen , 22.09.2008

Schorfheide-Marathon: Ne Perle für taffe Bräute und knackige Kerle

Meine Vorbereitung war- sagen wir es offen – eher sub suboptimal.
Eine nette Einladung zum Essen am Abend zuvor wollte ich natürlich nicht ausschlagen, es ist ja ohnehin so kompliziert, einen Termin zu finden. Also hocken wir beim Mexikaner, ich esse zwar ein paar Kohlehydratchen, aber der größte Teil dürfte sich wohl aus anderen Nahrungsbestandteilen zusammengesetzt haben. Ich kann mir einige Gläser Merlot und etliche Tequilas nicht verkneifen. Man lebt nur einmal, nicht wahr. Long-distance-running ist eh schon asketisch genug. Ich muss mich schließlich belohnen für den 18-Std-Arbeitstag am Freitag.
Na klar, ich schlafe auch viel zu wenig (3 Std), ich steh zu spät auf, ich pflege meinen reizbaren Darm nicht adäquat. Und natürlich zwingt er mich unterwegs 2mal in die Büsche, 7-8 Min. futsch.

Wir rollen auf der AB Richtung Prenzlau, jetzt durchstechen zur Ostsee wäre auch nicht schlecht. Bei der Ausfahrt Joachimsthal geht’s in die Pampa, nach dem ersten Ort auf einer absolut verschlafenen, idyllischen, buckligen, teerfleckigen Nebenstraße nach Altkünkendorf. Dort empfängt schon der Streckenposten der Freiwilligen Feuerwehr, weist den Weg zum Parkplatz. Ganz schön viel los, es gibt alles, von 6 km bis Marathon. Ganz schön frisch heute, ich bleibe nachher – zu Recht – doch bei meinen kurzen Klamotten.
Und dann geht’s ein paar Minuten hinüber zur alten Dorfkirche, da ist das logistische, organisatorische Zentrum dieser Veranstaltung, auch Start und Ziel. Das ganze Dorf scheint beteiligt, Startnummernausgabe reibungslos, ohne jede Wartezeit. Die Gulaschkanone für nachher wird herangeschleppt. An der Kirche hängt ein Zettel: Damen-Umkleide. Wirklich, in der Kirche ist 1/3 mit Stangen und Planen abgeteilt für die Ladies. Ich frage nach den Männern. Die brauchen das nicht, meint ein freiwilliger Helfer. Hinter der Kirche 4 Dixiehäuschen. Buddha ist auch im Abwasch, meinte mal ein Guru. Und Gott möglicherweise auch im Dixiehäuschen hinter der Kirche.

Dann treffe ich noch „Laufmaus Elke“ aus Nauen, eine Ultraläuferin, die dieses Jahr Biel in 12 Std. gefinisht hat. Heute will sie nur den HM laufen. Da Elke in der Laufszene alles und jeden zu kennen scheint, macht sie mich nachher noch mit der Organisatorin des Schlaubetal-Marathons bekannt (für die Süd- und Westlinge hier: Das liegt ca. 100 km nordöstlich von Berlin bei Frankfurt/Oder), die heute selber Marathon läuft. Wärmstens wird mir dieser Lauf empfohlen. Als ich einwende, in der Woche vorher wäre doch München, da meinen sie: Na, zum Auslaufen, ein Regenerationsmarathon gewissermaßen. Ich bin schon halb angemeldet, aber zuhause zeigt mir später mein Terminkalender, dass ich an dem Wochenende arbeite.
In der Kirche ist Marathon-Besprechung. Verlauf und Tücken der Strecke werden erläutert, Verlaufen quasi unmöglich.

Und dann, 5 Min verspätet, um 9:35 der Start. Das Übliche, die Schnellen fegen davon. Die werde ich nicht wieder sehen. Die, die sich selbst überschätzen, trampeln auch davon. Die werde ich wieder sehen, das weiß ich jetzt schon.
Ein paar 100 m geht’s durch den Ort und dann bald durch Feld, Wald und Flur. Meist einsam, durch himmelhohe Buchenwälder, über Wiesen, Nebenstraßen. Verpflegung in Abständen, die für mich absolut ok sind. An den ersten gibt es nur Wasser, später auch Cola, Iso, Banane, Äpfel, Süßkram. Ich nehme die erste Hälfte nur Wasser, später auch noch Cola.
Perfekt sind die Wegmarkierungen, das ist ja bei Landschaftsläufen gelegentlich das Problem. An unklaren Abzweigen steht jemand oder Baustrippe markiert rotweiß und eindeutig den Trail. Auch super, Standard wie jedem großen City-Marathon, jeder KM ist markiert. 10 Km passiere ich bei 54 Min. Noch bin ich optimistisch, liebäugle mit einer Zeit unter 4 Std., 2 Pinkel- und eine Buschpause liegen schon hinter mir, da kann ja nicht mehr viel kommen, denke ich. Kam aber. Bei 21 km zeigt die Uhr 1:59. Das wird eng. Und da weiß ich noch nicht, was alles mich noch erwartet. Zunächst der höllischste Sandweg. Viele Km schwimmst du auf dem zuckerfeinen Treibsand herum, suchst nach kleinen Grasinseln oder irgendwie festeren Untergründen. Deine Füße mahlen im Sand und da kommen sie, die Schweinehunde, ganze Horden. Das sind die Bedingungen, bei denen sich jeder irgendwann zwischendurch bei Distanzen ab Marathon fragt (jaja, ich weiß, außer bei denen, wo Gott selbst in deinen Füßen ist und du, der weiße Kenianer, einfach im Höllentempo über die Steppe brettert): Was tust du da? Warum? Bist du bescheuert? Könntest du’s zuhause nicht so gemütlich haben?

Diesen Punkt erreichte ich heute ab 30 Km. Danach ging’s zur Sache. Auf einem Buschpfad, anderthalb Fußbreiten eng, kurvig, staubig, steil hoch, steil runter, übersäht von Kiefernzapfen, Steinen, abschüssig zum Hang auf der Seeseite. Nein, der macht’s einem nicht leicht. Und – die Krönung der Biestigkeit – diese Wurzeln, die aus dem Weg emporzuspringen scheinen, ihre Saugnäpfe an die Sohlen deiner Schuhe heften. Die Wirkung ist dramatisch und für Zuschauer – die es real natürlich nicht gab – bestimmt jeden Lachanfall wert. Stellt euch vor, ein betrunkener Reiher schießt, wild mit den Flügeln schlagend, den Kopf weit vorgereckt, diesen Trail hinunter. 4mal kann er sich gerade noch halten, beim 5. Mal siegt die Schwerkraft und diese höllische Haftwurzel. Ich liege flach auf dem Bauch, in Liegestützhaltung und nur eine Frage beschäftigt mich: Warem die Unterschenkel 90°abgewinkelt und zeigten die Fußsohlen nach oben? Die totale Unterwerfungshaltung betrunkener Sturzreiher. Gerade habe ich locker einen Läufer aus Aachen überholt, der mir erzählte, er läuft nächste Woche auch noch den Berlin-Marathon. Ich springe auf die Füße, wenn ich nur eine Kettensäge hätte, mindestens 5 Bäume würde ich massakernd ratzfatz umsägen, Wurzeln zermetzeln, das Seeufer zerpflügen. Ich schau an mir herunter und bemerke, dass ich aussehe wie Buddy Nezzwerker auf seinem Avatar. Leider macht niemand ein Foto.
Später im Ziel höre ich noch eine Menge weiterer Sturzgeschichten, sehe auch ein paar aufgeschürfte Läuferknie. Ich war wenigstens nur dreckig und wütend.

Und dann kommen knackige Rampen, langgezogene Steigungen, entsprechende Gefälle – dem Himmel sei Dank, nicht mehr so schmal. Es macht doch mehr Laune, einen breiten Waldweg hinunter zu rennen als einen üppig bewurzelten Trampelpfad entlang zu torkeln. 3:25 zeigt meine Suunto bei 35 km. Merkwürdig: heute macht es mir weniger aus, die Steigungen hoch zu laufen als zu gehen. Gehen bringt mich aus dem Tritt.
Es ist der Gipfel, diese ganzen Bosheiten auf den letzten 12 Km zu versammeln. Ab 38 Km läuft man einige Zeit auf einem Wiesenpfad, der ist so stark abschüssig, dass ich gern ein rechtes Bein hätte, das 15 cm länger ist. 40 km durchlaufe ich in 3:55 – nix unter 4 Std. Der Mensch braucht Trost: also sage ich mir: Immerhin bist du nicht langsamer geworden. Schneller war heute, bei diesem Kurs, wohl utopisch. Zwischen 40 und 41 km, neben besagten Wiesenweg, sitzt ein freundlicher Zeitgenosse, der mir versichert: Die nächste Steigung ist die letzte! Naja, fast hatte er Recht, wenn wir die gemeine Winzigkeit danach vernachlässigen. In meinem Zustand kämen mir alle 6% schon wie ein Alpenpass vor. Und dann laufe ich in den Ort, Laufmaus Elke kommt mir entgegen und schießt noch ein einsames Läuferfoto. Zieleinlauf, Kopfsteinpflaster, auch das gehört zur Dorfidylle. Die Freiwillige Feuerwehr, die Zuschauer, alle klatschen. Auf grünem Filz laufe ich die letzten 8 m ins Ziel. Piep – ich bin gemessen. 4:07:40, 1. in der AK M60, gesamt 40. von etwas über 100 Startern. Nun weiß ich natürlich immer noch nicht, wie ich München im Oktober angehen kann, dazu sind die Läufe zu unterschiedlich.

Ich kann diesen Lauf ganz uneingeschränkt empfehlen (http://www.schorfheide-lauf.de/Infos/lauf.htm). Charmante, kleine Veranstaltung, mit einer – für diese Größe – perfekten Organisation. Von der Strecke her ist natürlich ein anderes Kaliber als die flachen, schnellen Stadtmarathons. Training für mentale Stärke, Motivation, motorische Koordination. Wer eine Herausforderung jenseits der schenllen Asphaltpisten sucht, ist hier an der richtigen Adresse. Es ist ne Perle für taffe Bräute und knackige Kerle.


© Rainer M. Halmen, 22.09.2008

Weitere Info's und Berichte zum Lauf:


Kommentare Kommentare zu diesem Bericht:
 Bisher hat leider noch niemand einen Kommentar geschrieben :-((

Du bist nicht angemeldet und kannst somit keine Kommentare schreiben!

Falls du bereits als User registriert bist, kannst du dich hier anmelden, ansonsten müsstest du einmalig eine "Registrierungsprozedur" über dich ergehen lassen...