Tritt ein, bring Glück herein

Stop, leider geschlassen!

 

Karl-Heinz Jost zum Desert Cup (25.11.2005) - Ultramarathon beim Steppenhahn (10.2000)
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Karl-Heinz Jost , 25.11.2005

Karl-Heinz Jost war dabei

An einem nebelig trüben Freitag begann mit schon mal vorweg genommenen Abenteuern die Reise über Schipol in Holland und Beirut nach Amman. Über dem östlichen Mittelmeer kollabierte ein alkoholisierter Passagier, dem dann von den deutschen Ärzten aus unserer Läufergruppe geholfen und er vorsorglich in Beirut von Bord genommen wurde. Nach stundenlangem Gefeilsche und Gezanke auf dem Ammaner Flughafen um den Fahrpreis für Bus oder Taxi, kamen wir, verteilt auf sieben Taxis, nach 1 1/2 Stunden Fahrt morgens um 4Uhr im Hotel an. Gegen Mittag ging es 260km mit dem Bus über die breiten, unbegrenzten Asphaltstränge durch die Wüste nach Süden dem Golf von Aquba am Roten Meer entgegen. Kurz vor dem Wadi Rum hörten die Straßen auf und wir wurden auf Jeeps umgeladen. Nach einer holprigen Fahrt endete unsere Reise mitten in der stockfinsteren Wüste. Aus großen Feldern von Gepäck suchten wir im Autoscheinwerferlicht unsere Sachen heraus und versuchten in den schon vollen schwarzen Berberzelten noch eine winzige Schlafstelle zu bekommen. Wer jetzt in der Nacht seinen Platz verlassen müßte, würde ihn nie wiederfinden. Der Mond tauchte oberhalb der sehr hohen Felsen auf. Und die Schnarcher, so schien es mir, wurden auch immer lauter. Der junge Tag ließ uns sprachlos staunend auf eine ungeahnt grandiose Landschaft schauen. Aus wie von Wasser glatt gestrichenem Meeresboden ragten 200 --300 Meter hohe nie gesehene steile Felsberge hoch. Wir waren auf der alten Seidenstraße, ganz im Süden Jordaniens, in der Nähe der Saudi Arabischen Grenze. Der Tag verging schnell mit Rüsten für den Lauf und Vorzeigen der Verpflegung, Pflicht- und Notausrüstung, wie Skalpell, Vaquumpumpe, Kompaß, Landkarte, Taschenlampe, Sommer- und Winterkleidung, sowie von allem eine unantastbare Notreserve. Wichtig war, auch die Füsse und Schuhe sorgfältig zu verpflastern. Am nächsten Morgen gab es erst noch einmal einen kleinen Sandsturm. Er wehte viele Zelte und die Dekoration fürs Fernsehen um. Die Sicht betrug nur noch 20 Meter, sofern man überhaupt wagte die Augen zu öffnen. Um 8:30Uhr, unter dem Gedröhn von drei Militär-Hubschraubern, erfolgte der Start. Mit dem notwendigen Wasser am Mann ( 4 1/2 Liter ), hatte ich 20kg zu schleppen, und das über eine unbekannte Strecke von fast 180km, und die in einem Stück zu laufen war. Der Sand war auf den flachen ersten 30km nur handbreit mehr als knöcheltief. Das schien mir hier alles keine so besondere Herausforderung zu sein. ?!?
Die Stunden tropften dahin und im Zuckeltrab strich ich Kilometer um Kilometer ab. Die bis zum Horizont reichenden nur leicht welligen Sandebenen und die darauf gestellten so phantastischen nie gesehenen (Sand)Steinfelsen sahen aus, wie von übergroßer Hitze angeschmolzen. Die Sonne versank blutrot am Horizont. Ich speichelte wieder mein Spezial-Müsli herunter, orientierte mich noch einmal mit Kompaß und Landkarte und wechselte auf Nachtschutzkleidung. Die Temperatur war von fast 30°C auf jetzt 12° gesunken. Ich freute mich auf die Nacht, und werde auch diese besonders stimmungsvolle Zeit wieder ganz alleine laufen. In den nächsten Stunden hatte ich mich immer wieder Dünen rauf und runter zu kämpfen. Hier und da lag oder saß mal eine kleine Gruppe und verschnaufte an einem kleinen Feuer, um sich Essen zu wärmen. Meine Augen hatten sich an die Dunkelheit gewöhnt. So konnte ich meine Taschenlampenbatterien schonen. Der Mond spendete vorerst noch reichlich Licht. Immer wieder kippte ich den Sand aus meinen Schuhen. Gegen 4Uhr war der Mond hinter den Bergen untergegangen. Jetzt stolperte ich, trotz Taschenlampe, über die Geröllfelder und Bodenunebenheiten. Es wurde noch kühler und auf dem freien Feld sehr windig. Es waren nur noch 5°C. Ich hatte Hunger, wagte aber nicht anzuhalten, um nicht noch mehr auszukühlen. Gegen 9Uhr erreichte ich den nächsten Kontrollpunkt. Ich informierte den Posten, daß ich vor ca. 3km mit einem liegend, sich stöhnend krümmenden Mann gesprochen habe, der sich aber nicht aufrichten lassen wollte und auch nicht antwortete, und nannte die Startnummer. Ich hatte ein Zeitpolster von gut 6Std und wollte etwas schlafen. Das Zelt war überfüllt. Ich suchte mir, etwas entfernt, eine Felsnische und war innerhalb von Sekunden eingeschlafen. Nach ½ Stunde weckten mich Geräusche eines landenden Hubschraubers.
Für jeden der 13 Kontrollpunkte gab es eine Ankunfts- und ein Abgangs-Zeitgrenze, die auf die Minute genau einzuhalten war, sonst erfolgte Disqualifikation.--Absolut!!-- Zudem gab es eine lange Liste von 1/2 bis 7Std Zeitstrafen für verschiedene Delikte. Von hier oben hatte ich einen sehr schönen, weiten Ausblick über ein bis zur Kimm reichendes sonnen beschienenes Tal, gesäumt von im blauen Dunst der Ferne erahnbaren Gebirgszügen. In der Ebene vor mir, waren mehrere Läufer als kleine Punkte zu erkennen. Die Ebene war aber sehr unwegsam. Dicht stehendes, mannshohes Gras und Sträucher, an denen sich pyramidenförmig Sand verfangen hatte und später in einer Senke der getrocknete, aufgesprungene und zu Platten gewölbte fingerdicke Modderboden, machte den Fußmarsch sehr beschwerlich. Von oben brannte die Sonne. Und der Rucksack und die 4 1/2 Liter Wasser zerrten an den Schultern. Die Umgebung war nicht mehr scharf zu erkennen -- vor Hitze flimmerte alles. Der Boden wurde etwas fester und ich legte einen höheren Gang ein. Rechts neben mir die schneeweißen Knochen eines ehemals jungen Kamels. Es folgte wieder knöcheltiefer Sand, und ich fand viele Muscheln auf dem ururur-alten Meeresboden. Schwamm hier vielleicht mal die Arche Noah?
Weit vor mir, halblinks, sah ich den Union Jack, von einem Zeltnachbarn, wippen. Ich hielt darauf zu. Ich kam auch rasch näher. Und dann stand ich vor einer langen Häuser-tiefen Erdspalte. Ich war vom „Weg“ abgekommen und hatte mich ca. 6km verlaufen. Nach den ersten 105km hörte der Sand auf und meine Füße erholten sich auf 3km Asphalt. Ich war am Fuße des fernen Gebirgszuges von heute Morgen angelangt. Der Wind nahm zu und es wurde sehr schnell wieder kühler. Der Mond stand über der hinter mir liegenden Ebene. Ein sehr schöner Abend. Der Asphalt war jetzt hier meterbreit und metertief vom Bergwasser weggerissen. Ich suchte meinen Weg durch Geröll. Kontrollpunkt 10, gegen 20Uhr: Ich wollte vor dem Anstieg in die Berge etwas vorschlafen. Nach nur wenigen Minuten in der horizontalen Lage, riß der Wind die Teppiche der Zeltrückwand los und schlug sie uns um die Köpfe. Ich nahm meinen scheinbar schweren werdenden Rucksack und ging weiter. Die Steigungen ließen Laufen nicht zu. Auf dem weiteren Weg der Bergwanderung traf ich hier und dort auf Berberzelte. Die Bewohner hatten die wegweisenden Knicklichte eingesammelt. Ich schaute auf die Karte und den Kompaß - und habe mich doch wieder verlaufen. Das Gelände hatte jetzt 12...14% Steigung und Gefälle. Der Mond stand hoch und gab gutes Licht. Trotzdem stieß ich immer wieder mit den Füßen schmerzhaft gegen die vielen, teilweise Pampelmusen großen Steine. Von Kontrollpunkt 10 an begleitete mich ein Schäferhund-großer, wuscheliger Hund. Erst weit zurück bleibend, dann näher kommend. Hielt ich, legte er sich neben mich. Nach zwei Stunden klang Hundegebell durch die Nacht. Dann sah ich mehrere Gruppen von Berberzelten. Kurz darauf jagten drei gleichgroße Hunde auf uns zu und stürzten sich auf meinen Begleiter. Ich kehrte um und ging laut schimpfend, mit den Armen fuchtelnd und Wasser spritzend auf die Kämpfenden zu. Die Angreifer wendeten sich tatsächlich ab. Mein Begleiter blieb liegen und leckte sich die Wunden. Ich gab ihm Wasser und blieb bei ihm. Eine Weile später folgte er mir humpelnd, direkt bei Fuß. Eine Wegstrecke weiter sah ich an einer dunklen Felswand rote Punkte aufglühen. Drei dunkle Gestalten vertraten mir den Weg, und mein Begleiter begann zu knurren. Sie kamen näher und sprachen mich in einem Ton an, der mir nicht gefiel. Ich rief laut und deutlich: Haut ab! Mit Rucksack hatte ich gegen die drei jungen Leute keine Chance weg zu kommen. Und es war bestimmt nicht das erste Mal das nachts Inhalte aus Rucksack und Taschen in der Wüste umverteilt wurden. Der Hund hatte an meinem Tonfall gemerkt, daß was nicht stimmte und knurrte lauter. Der eine junge Mann langte nach mir. Ich trat zurück, streckte den Arm nach vorne und sagte zum Hund : Los! Er sprang den einen an und die anderen wichen auch zurück. Ich ging nach rechts weiter. Der Hund hielt die Jungs noch in Schach und kam dann nach. Momente später hörte ich Steine hinter mir aufschlagen. Wir kamen höher und aus dem Windschatten der Berge heraus. Der Mond stand hoch über uns. Wir hatten jetzt 4°C (gemessen) und Wind 8..9 bft, in Boen 10. Ich hatte Mühe mich auf den Beinen zu halten und eine gerade Linie zu laufen. Ich fror bitterlich. Doch ich hätte sechs Hände gebraucht, um den Rucksack zu öffnen und um wärmere Kleider anzuziehen. Ich wollt, ich mußte weiter und in Bewegung bleiben. Es ging höher und es wurde härter. Ich nehme die Worte von Kilometer 30 zurück! und denke der Veranstalter muß eine sadistische Ader haben. Der 240km-Etappenlauf des "Marathon des Sables" durch die Sahara, ist im Vergleich leichter. Und ich friere und kämpfe weiter. Der Kontrollpunkt auf 1600m Höhe muß doch bald kommen? Das Wasser in meiner Trinkflasche ist ungenießbar kalt. Ich gebe Wasser in einen konkaven Stein und der Hund nimmt es mit der Zunge auf. Ihm macht die Kälte nichts aus. Am Kontrollpunkt nenne ich meine Startnummer, streichle den Hund und verabschiede mich von ihm.
Auf dem Zeltboden werden eine Frau und ein Mann medizinisch versorgt. Ich eile weiter. Einer der Kontrolleure kommt hinter mir her und fragt, ob ich irgend etwas brauche? Die Kälte hält mich wach. Ich habe schon den zweiten Satz Batterien in meiner Taschenlampe. Der Mond steht hinter irgend einem der hohen Berge. Ich stolpere weiter. Es geht steil bergab und wieder bergauf. Der Wind zerrt an mir. Nur nicht stehen bleiben. Weiter! Weiter!
Ich sehe in der Ferne Lichter. Kurze Zeit später, ich zucke unvermittelt zusammen, ruft schräg über mir, über Lautsprecher ein Muezzin von einem hohen Minarett, zum Gebet. Für 2km gibt es so etwas wie Straßenbeleuchtung. Dann führt mich die "Straße" wieder in die unwegsamen Berge. Der Wind faucht hier wieder um mich herum. Der nächste Kontrollpunkt ist kaum zu erkennen. Der Wind hat die Zelte, Fahnen und Schilder alle platt geweht. Die Kontrolleure sitzen in Decken gehüllt hinter einem Felsen. Gegen 8Uhr morgens, bei stahlblauem Himmel und 5°C, bekam ich einen unsicheren Schritt und einen Tunnelblick. Ich legte mich an den Wegrand, den Rucksack als Kopfkissen und schlafe sofort ein. Nach 17 Minuten schüttelten mich zwei Leute wach. Ob es mir gut ginge? Ob ich Hilfe bräuchte? Es waren die Streckenkontrolleure des Veranstalters. Ich war nun wach und lief weiter. Ich fror und beschleunigte das Tempo. Ich hatte immer noch ca. 7Std unbekannte Wegstrecke vor mir. Es wechselten sich Geröllwege mit 10%ger Steigung, "Straßen" und von deutschen Firmen gebaute 50m breite Prachtstraßen ab, bis es auf den letzten 10km Berghänge mit bis zu 50% Gefälle, auf Händen kriechend, bergab ging. Ich näherte mich der 3000 Jahre alten nabatäeischen Stadt Petra. Die in den rosaroten Sandstein gemeißelten mehr als 800 Tempel, märchenhaften Paläste und Wohnungen mit ihren prachtvollen Fassaden sind zum Teil noch heute gut erhalten. Ich mache wieder viele Fotos und wechsle den vollen Film. Nach fast einer Stunde merke ich, daß der Film nicht weiter gespult war. Ich kehrte um, bis zu der Stelle wo ich den neuen Film eingelegt hatte. Mir nun entgegen kommende Läufer zweifelten an sich: Müssen wir zurück? Nein, ich wollte nur, weil ich nicht wußte, wo ich mich befinde und ob ich je im Leben hier in diese Bilderbuch-Landschaft wieder käme, die schönen Motive noch einmal aufs Zelluloid bannen. Es ging dann später die steilen Felswände über 590 sehr große alte Stufen hinunter in die legendäre Stadt Petra. Vorbei an grandiose Gebäudefassaden und nun wieder ziemlich scharf bergan. "Nur noch 800m bis zum Ziel." Riefen mir einige der vielen Touristen zu. Aber es wurden daraus mehr als drei sehr Kräfte zehrende Kilometer. Laufen war nicht mehr möglich. Und dann-- endlich--- mitten in der Innenstadt des heutigen, über erdischem Petra, im Wadi Mousa, standen die Fotografen unter dem aufblasbaren Siegestor des "Desert Cup von Wadi Rum nach Petra ".-- Meine Zeit: 53 1/2Std, Platz 2 in der AK M60. --Man bot mir zu trinken und einen Stuhl zum Sitzen an. Es war aber nicht einfach in diese ungewohnte Ruhelage zu kommen. Ich zog die Schuhe und Strümpfe aus, -- wie gut, daß Bilder und Zeilen geruchlos sind --- und klaubte die zerschlissenen und zusammen gerollten Pflaster von den Schuhen und Füssen ab. Die Füsse waren geschunden und geschwollen, aber -- ohne Blasen. Ich war von innen ganz leicht und ganz heiter, ganz hell und voller Bilder und hatte kein Zeitgefühl.
Am Tag darauf haben wir in den Basaren gestöbert und so einiges gekauft. Und -- wir haben uns, im Ort, an der alten Seidenstraße nach Damaskus, in einem original Türkischen Bad pflegen lassen. So ein Anderthalb-Mensch massierte uns. Als er mit seinen klodeckelgroßen Händen auf meinem Rücken rumtrommelte, schien es mir, als wollt er mich in Stücke teilen. Doch wir haben auch das und den Schock über den hohen Preis überlebt.

© Karl-Heinz Jost, 25.11.2005

Weitere Info's und Berichte zum Lauf:


Kommentare Kommentare zu diesem Bericht:
 
  • Was ist aus dem Hund geworden? Florian 25-11-2005 11:52

Florian schrieb am 25-11-2005 11:52:

Was ist aus dem Hund geworden?

Ein toller Bericht, danke Karl-Heinz! Und herzlichen Glückwunsch zum Durchkomen!
Mir bleibt nur eine Frage: was ist aus dem Hund geworden? Wann hat er Dich verlassen? Oder hast Du Ihn verschenkt?

Flo
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