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Rainer Herzog zum Lapland Ultra (04.12.2006) - Ultramarathon beim Steppenhahn (10.2000)
Alle zeigen - Bericht von Rainer Herzog zum Lapland Ultra:
Rainer Herzog , 04.12.2006

Sinnsuche auf schwedischem Asphalt

Von BT-Redakteur Franz Vollmer

Was tut man nicht alles für eine gute Figur: Diäten, Fastenkur, Trennkost.
Wenn sie nur nicht so zeitraubend wären. Das Abmagerungsprogramm
von Rainer Herzog ist da wesentlich berschaubarer.
Rekordverdächtige zehn Stunden dauert
es, funktioniert quasi über Nacht und
nennt sich Lappland-Ultra-Marathon. Und
eine Traumlandschaft gibt's gratis dazu.
Zehn Uhr abends. Adak, ein 250-Seelendorf in Lappland, also ziemlich
genau da, wo sich Elch und Rentier gute Nacht sagen. 85 Läufer aus
aller Herren Länder sind dabei, sich die Nacht um die Ohren zu
schlagen - laufenderweise. Die Muskeln locker, die Nerven
angespannt, die Antrittsgebühr bezahlt. Schlafwandler auf einsamen
Straßen, auf der Suche nach der Überwindung der Trägheit - oder
nach dem tieferen Sinn des Lebens.
"Ich weiß es nicht", gesteht Rainer Herzog, dabei hat der gebürtige
Steinbacher viel Zeit, eine Antwort darauf zu finden, warum er sich
freiwillig einem 100-km-Nachtmarsch aussetzt. "Ich weiß es wirklich
nicht", versichert der 35-Jährige und wahrscheinlich wissen es auch all
die anderen Teilnehmer nicht, die sich mit 12 km/h
Laufgeschwindigkeit in die nordische Nacht stürzen, die zwar
wohltemperiert (12 Grad/trocken), aber nicht mal richtig dunkel ist.
Für gerade mal zwei Stunden legt die Sonne hier am Rande des
Polarkreises ein Päuschen ein. "Es ist eigentlich immer hell", beschreibt
Herzog die zwielichtigen Lichtverhältnisse in Nordschweden. Zu hell
jedenfalls, um die Augen zu verschließen vor den knapp zehn Stunden
Strapazen, die vor den Athleten liegen. Zehn Stunden joggen. "Eine
grausame Vorstellung", gesteht auch Herzog.
Morgens um 7.44 Uhr, wenn die Welt in Adak wieder in Ordnung ist,
wenn man von einer Handvoll heijah-heijah-rufenden Zuschauern
angefeuert, endorphintrunken ins Ziel wankt, wenn die Muskeln hart
wie Stein und die Schuhsohlen weich wie Butter sind, auch dann wird
Herzog keine Antwort gefunden haben auf die Frage nach dem Warum.
Das Siegerfoto im Internet kann nicht das Motiv sein und auch die
freundliche Samin allein, die die Läufer zehn Meter vor Ende des
Rundkurses erwartet, dürfte kaum Beine machen. Selbst der
eineinhalbminütige Bericht im schwedischen Fernsehen rechtfertigt
keinen derartigen Gewaltakt. Es gibt einfach bequemere Wege, ins
Fernsehen zu kommen.
Der Reiz der Landschaft kommt schon eher in Frage. "Mich reizt vor
allem das Naturerlebnis", so Herzog. Und Lappland ist Natur satt. "Die
Landschaft ist sagenhaft, fast schon kitschig, wie sich der Himmel bei
untergehender Sonne verfärbt. Einfach grandios." Jedenfalls eine
willkommene Ablenkung von den obligatorischen Ängsten beim Start.
Die Angst vor der fatalen kleinen Falte im Socken, die "zum großen
Problem werden kann", oder die Angst, dass sich die lädierte
Achillessehne melden und dem Gehirn "keine Lust mehr" signalisieren
Achillessehne melden und dem Gehirn "keine Lust mehr" signalisieren
könnte. Ein hässliches Wort, keine Lust, streng genommen ein
Fremdwort im Herzog'schen Wortschatz. "Ich habe noch nie
aufgegeben", kann der gelernte Softwareentwickler, dessen
Wochenlaufleistung bei 100 Kilometern liegt, stolz verkünden.
Dem Schweinehund zurückgegrunzt
1994 hat sie begonnen, die Sinnsuche auf dem Asphalt. Mit einem
Marathon in Karlsruhe, der eigentlich nur dazu gedacht war, den
studienbedingten Verlust der Ideallinie ("Ich hatte ein paar Gramm zu
viel auf den Rippen") zu korrigieren. Mit Erfolg: Um satte 15 Kilo war
Herzog anschließend erleichtert. Doch wie es scheint, entfaltet die
Lust an der Tortur eine ganz eigene Sogwirkung. "Je mehr man läuft,
desto süchtiger wird man", verrät Herzog.
Und so fühlte sich der vereinslose Athlet 1999 schließlich zu Höherem
berufen, als er den 100-Kilometer-Lauf in Biel (Schweiz) in Angriff
nahm und auch noch in stolzen 8:55 Stunden absolvierte. Das war
auch die Phase, in der er für einen Marathon schlappe 2,49 Stunden
benötigte. Derzeit bewegt sich der passionierte Langläufer, der zu
Trainingszwecken auch mal seine zweieinhalbjährige Tochter Hanna im
Babyjogger mit auf Tour nimmt ("Das macht ihr richtig Spaß"), bei
knapp über drei Stunden.
Und wie beim Lappland-Lauf ist es immer wieder die Genugtuung,
einfach angekommen zu sein, dem inneren Schweinehund
zurückgegrunzt zu haben. "Das ist ein irres Gefühl, der absolute
Wahnsinn", beschreibt Herzog den finalen Moment, in dem man vor
Glück sogar ein bisschen weint.
Die Glücksgefühle sind umso berechtigter, wenn man wie Herzog am
Ende die Hauptklasse Männer (bis 39 Jahre) gewinnt und in der
Gesamtwertung nur sechs anderen Läufern den Vorzug lassen muss -
pikanterweise alle älter als er. "Das ist nicht untypisch. Die besten
Ultraläufer sind 40 Jahre und älter", erklärt Herzog. Ultra-Marathon ist
"eine Frage der mentalen Härte" und mentale Härte ist eine Frage der
Erfahrung. Denn wenn es überhaupt einen qualitativen Unterschied zur
einfachen Marathon-Distanz gibt, dann steckt er nicht in den Beinen,
sondern im Kopf. "Man muss die Strecke im Kopf packen", weiß
Herzog.
Und ganz so fremd war der Gedanke an eine Kapitulation auch in
Lappland nicht. Spätestens ab der kritischen 40-Kilometermarke
meldeten sich die süßen Sirenen und raunten ihm zu: "Rainer, es
reicht. Du hast genug gesehen. Steig aus!" Doch es gab auch eine
Gegenstimme. Sie wurde ab Kilometer 60 vernehmbar und säuselte:
"Du hast es drauf, du schaffst es, du hast gut trainiert." Was zwar
nicht stimmt ("Ich hatte eigentlich zu wenig gemacht"), doch ab dem
Moment, wo "ich körperlich nicht mehr abbaute, wusste ich, ich ziehe
das durch, egal wie." 44 Leidensgenossen hatten es nicht
durchgezogen.

Abendjogging von Köln nach Bonn
Vielleicht weil nach dem fast schon vergnügungssteuerpflichtigen
Anfangsteil mit leicht profilierten Naturwegen ("Die ersten 40 km
Anfangsteil mit leicht profilierten Naturwegen ("Die ersten 40 km
waren reiner Genuss") nur noch monotoner Asphalt folgte, was eine
Umstellung für die Psyche erforderte.
Andererseits: Abwechslung ist abgesehen vom lieblichen
Vogelgezwitscher selten in Sicht. Bären und Elche waren Fehlanzeige
und die wenigen Autos, die man unterwegs trifft, konnte man an zwei
Händen abzählen. Da heißt es Zwischenziele formulieren, auf keinen
Fall ans Ende denken, sondern an greifbare Nahziele: den nächsten
Verpflegungsplatz, den nächsten Blaubeersaft, die nächste Banane,
auch wenn das mehr Beschäftigungstherapie denn Nahrungsaufnahme
ist.
Und dazwischen? "Dazwischen denkt man an Gott und die Welt" - und
an Freundin Silke aus dem fernen Bonn, die im Ziel wartet und die
Herzog ab und an auch schon mal zu Fuß besucht, wenn er, das
Nützliche mit dem Angenehmen verbindend, einen Abendjogging von
Köln in die einstige Hauptstadt macht.
Am Ende allerdings waren sie mal wieder alle umsonst, die Sorgen vor
der Sockenfalte, vor der Blase, die man ohnehin hätte "einfach
ignorieren müssen", oder vor der streikenden Achillessehne. "Nur die
Oberschenkel taten ein bisschen weh", so Herzog. Mal half ein
freundliches Wort eines Konkurrenten ("You did a good job"), mal die
Gesellschaft eines Kölner Laufkollegen, mal die gegenseitigen
Überholmanöver mit einem russischen Kontrahenten.
Ultramarathonisten, das steht fest, sind kollegiale Sportler, haben als
Gegner allenfalls sich selbst. Und auch wenn sie nicht wissen, warum
sie laufen, die nächste Herausforderung ist gewiss. Rainer Herzog
etwa hat sich den Köln-Marathon vorgenommen - vielleicht sogar mal
mit dem Babyjogger. Mit welchem Startgewicht auch immer - mit
seiner Tochter wird er sicher eine gute Figur abgeben.

© Rainer Herzog, 04.12.2006

Weitere Info's und Berichte zum Lauf:


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