Thomas Enck , 09. November 2004

50km Bottrop

Hurra, es ist vollbracht. Der erste Ultra. In Bottrop. Mit vielen anderen VirtuTELern und dem Meister himself.

Vorgeschichte

Ein schöner Juli-Tag im Jahre 2004. Optimale Vorbereitung auf ein Abenteuer, hin auf den Eintritt in eine neue Dimension: den Ultra-Lauf. Objekt der Begierde: der Härdler-Lauf in Schmallenberg. An der Startnummernausgabe suche ich vergeblich den Stand für die 44,5 km. Lakonische Antwort des Teams: "fällt aus wegen fehlender Genehmigung". Am Boden zerstört muß ich mich erstmal in die Stadthalle setzen und überlege, was zu tun ist. Naja, ich bin dann doch mitgelaufen, und zwar die mittlere Variante von ca. 26km, siehe:

http://www.steppenhahn.de/ultramarathon/umbericht0111.html

Voller Frust einen "Ersatz(-leider-nur-)Marathon" gesucht, nämlich den in Bad Pyrmont. Aber so ganz das Wahre war das auch nicht, siehe:

http://www.steppenhahn.de/ultramarathon/umbericht0113.html

Es mußte natürlich ein neues Ultraziel her, und das war Bottrop. Schon letztes Jahr habe ich die eindrucksvollen Berichte mit Spannung gelesen und er paßte auch sonst recht gut in mein Laufprogramm. Noch schnell den Münster- und den Berlin-Marathon mitgenommen und schon konnte die Endphase des (Zweiter-Versuch-Ultra-Einstiegs-)Trainings beginnen.

Prolog

Doch, Oh Schreck: vier Wochen vor Bottrop zwingt mich eine Infektion zu einer Laufpause von 2 Wochen, also genau die entscheidenden Wochen in einer Wettkampvorbereitung. Kann ich das Ziel so überhaupt noch erreichen?

Mit dem "Mut der Verzweiflung" setzte ich nach ärztlicher Lauffreigabe mein Training fort, was strenggenommen nur noch aus "Tapering" besteht. An sich ein Witz: Tapering bezeichnet ja das "Herunterfahren" vom intensiven Training auf ein geringes Niveau, um für den Wettkampf Kräfte zu sammeln. Da ich aber vor dem "Tapering" nicht trainiert habe, ist die Konsequenz bei mir: Tapering von 0 = negativ!? Heißt das nun Rückwärtslaufen? Oder ist der Energieverbrauch beim Training negativ?

Unbeirrt von solchen Selbstzweifeln und mathematisch-logischen Verirrungen bin ich am Sonntag morgen rechtzeitig nach Bottrop gefahren, denn ich hatte ja den Laufberichten der Vorjahre einige Orientierungsschwierigkeiten der Teilnehmer beim Finden des Startgeländes entnommen. Mir passierte desgleichen jedenfalls nicht, was vermutlich erstens am mitgebrachten Stadtplan (sagte nicht mal ein berühmter Denker: "Ein Blick auf die Karte erleichtert das Orientierungsvermögen", oder wars nur beim Vorgesetzter beim Bund?) lag und zweitens an meiner Herkunft aus der Fast-Nachbar-Stadt Gelsenkirchen.

Gleich nach der Ankunft bin ich zur Stadtnummerausgabe gegangen. Dort lief ich durch den ganzen Flur, auf der Suche nach dem Schild "50km-Voranmeldung". Aber nichts. Die werden doch nicht....

Aber nein, der Stand war gleich am Eingang und ich bin dran vorbeigelaufen, weil die Schilder quasi im Rücken an der Wand befestigt waren.

Nach Abholung der Startnummer blieb noch ein bißchen Zeit, um die außergewöhnliche "Lokation" = Start und Ziel auf einem Bergwerksgelände mitsamt Umkleide/Dusche in der noch benutzten Bergmannskaue zu besichtigen, und vielleicht den einen oder VirtuTELer zu treffen. So auch geschehen mit dem späteren Sieger M35 "Smeagol" (Verflixt, wo finde ich nur den Buchstaben mit dem Strich überm "a"), Gratulation!, sowie "Findehamster" und "Rennhamster Holger", sowie kurz vor dem Start noch dem Steppenhahn. Powerschnecke hoffte ich auch zu sichten und kennenzulernen, den es war unser vierter gemeinsamer Wettkampf dieses Jahr. Aber nur virtuell, denn Ruhr- und Berlin-Marathon waren zu voll und in Bad Pyrmont liefen zu viele im 100MC-Trikot herum, als daß ich ihn erspäht hätte. Hier in Bottrop waren ja nur wenige 100MCler am Start und das Starterfeld überschaubar. Aber ohne Erfolg, vielleicht hätte ich den "Findehamster" auf ihn ansetzen sollen, denn er hat ihn gefunden (kein Wunder bei dem Namen), wie Powerschneckes wieder mal urigem Laufbericht zu entnehmen ist.

1. Akt

Startschuß! Der traf mich (nicht direkt, also körperlich) irgendwie unvorbereitet, da es an den üblichen vorherigen Ansprachen usw. (muß auch nicht sein) fehlte. Egal, los geht’s in das lang ersehnte Abenteuer. Wohlweislich habe ich mich im Starterfeld sehr weit hinten einsortiert. Denn mit dem Trainingsdefizit und weil‘s sowieso mein erster Ultra war, wollte ich mindestens die erste Hälfte sehr langsam laufen, um nicht zu früh kämpfen zu müssen. Ein Tempo von 6.10 erschien mir angemessen. So lief ich bei etwa km 2 auf den Steppenhahn auf, der genau auf dieses Tempo beschleunigte. Eine kleine, nette Unterhaltung ergab sich, so daß die ersten KM wie im Fluge vergingen. Toll, sich gleich zu Beginn des ersten Ultras mit d e m Steppenhahn auszutauschen (mein ich durchaus ernst und ist auch kein Schmäh). Ich erzählte ihm dann noch von meiner Vorgeschichte und dem Grund meiner Tempowahl, nämlich nicht nach 25km physisch oder mental erschöpft am Ende der ersten von zwei Runden aufzugeben, worauf er meinte: "Du bist hier nicht hergekommen um 25km zu laufen" Recht hat er und derart motiviert setze ich meinen Lauf fort. Zwischenzeitlich lernte ich noch "Uli316" (Ist das Deine laufende Nr. bei Deinem Provider oder hat das eine biblische Bedeutung?) en passant kennen, der auf einem Rad in Begleitung von "Maratonne" auf der Suche nach dem "Findehamster" an uns vorbeifuhr und ein kurzes Pläuschen mit dem Step hielt. Der grüßte übrigens nicht nur die 1/3 ihm bekannten Läufer, die 1/3 neu kennengelernten Läufer (zu denen ich mich jetzt zählen darf) und die 1/3 ihm unbekannten Läufer, wie das an anderer Stelle geschrieben steht, sondern auch noch sämtliche (ihm wohl ebenfalls bekannten) Streckenposten und sogar die Spaziergänger. Toll (kostet das keine Kraft?)!

Irgendwie formierte sich im Lauf der ersten 10 km eine Gruppe aus 8-10 Läufern, die konstant mein Tempo lief. Also hängte ich mich dran und hatte so meine persönlichen Pacemaker. An den Getränkestellen, an denen ich immer gehe (mein Magen verträgt sonst die Getränke nicht), ließ ich immer etwas abreißen, um dann wieder langsam aufzuschließen. Neben den selbst gestalteten oder in der Gruppe aufgeschnappten Unterhaltungen war jetzt auch die Gelegenheit, sich die Strecke etwas näher anzuschauen. Ehrlich, ich hätte es mir wirklich nicht so schön vorgestellt, obwohl ich als gebürtiger Gelsenkirchener auch um die schönen Seiten des Ruhrgebietes weiß. Abgesehen von den ersten und letzten drei Kilometern, die als Stichstrecke zum eigentlichen Laufgebiet gestalten war, spielt sich alles in einem wunderschönen Herbstwald ab, gelegentlich durchbrochen von schönen Lichtungen oder an solchen entlang. Der meist befestigte Waldweg war angenehm zu laufen und das Profil angenehm. Sicher trugen auch das tolle Wetter (goldene Oktober-Sonne, obwohl‘s schon November war) und die angenehmen Temperaturen von 11-12 Grad dazu bei.

Auch die Verpflegungsstellen waren toll, nette Leute, die eine super Stimmung verbreiteten. Und die Getränkeauswahl (Wasser, Tee, Cola, Malz-Bier) ließ auch keinen Wunsch offen. Daneben wurden noch Bananen gereicht und Kekse?, letzteres weiß ich nicht genau, weil mein Magen.... (s.o.), sah aber lecker aus. Völlig unverständlich daher die Reaktion eines 25er’s (dieser Wettbewerb wurde 25 min nach den 50 km gestartet und ging über die gleiche Strecke), der an der Verpflegungsstelle bei ca 12 km rufend "ich brauch Wasser" wohl in der Hektik mit etwas anderem bedient wurde, darüber fluchte und seine Hatz mißgelaunt fortsetzte. Meinen Zuruf "Nicht so hektisch" beantwortete er mit "Jetzt habe ich meine Gruppe verloren". Da dies auf der ausgezeichnet ausgeschilderten Strecke kaum möglich war, muß er wohl den fehlenden Windschatten gemeint haben. Kaum zu glauben, müßten er und seine Gruppe doch wissen, daß angesichts der Waldstrecke und der vielen zu überholenden 50er (was sonst nach meinen Beobachtungen sehr gut klappte - schön die gegenseitige Rücksichtnahme der 25er und 50er) Bestzeiten kaum möglich sein dürften.

Mit solchen Beobachtungen, gelegentlichen Unterhaltungen in der Gruppe "flogen" die in km-Abständen aufgestellten KM-Markierungen nur so vorbei.

Eigenartigerweise fröstelte es mich etwas, und das trotz der Temperaturen und der Laufbekleidung Variante "lang". Das war wohl auf das moderate Tempo zurückzuführen. Den Versuchen einer Tempoverschärfung habe ich dann aber nicht nachgegeben. Über unsere diesbezügliche gemeinsame Disziplin freuten sich der Step (er lief auch in der Gruppe mit, "Superläufer04": warst Du auch unerkannterweise dabei?) und ich, um kurz darauf davonzuziehen (der Step, nicht ich). Schon näherte sich das Ende der ersten Runde, und die ersten Läufer kamen uns auf dem Wendestück entgegen. Dies ermöglichte eine erste Einschätzung des eigenes Ranges, von dem ich ja wußte, daß er eher hinten anzusiedeln war. Etwa 800 Meter vor dem Ziel begegneten mir "Findehamster" und "RH Holger", sie hatten also bereits 1600 Meter = ca. 10 min Vorsprung. Step kurz darauf mit ca 2*300m Vorsprung, nicht ohne eine frotzelige Bemerkung für "seine" Ex-Laufgruppe. Und dann ging es um ersten Mal unter dem Ziel hindurch, 180Grad-Kurve und ab in den

2. Akt

Vorher stellte ich aber noch fest, daß ich mit 2.34:03 super in der Zeit lag (vorgenommen hatte ich mir: Ankommen; gewünscht: eine Gesamtzeit unter 5:30; vage erhofft: eine Zeit unter 5:10). Überhaupt war ich bis dahin auch Dank der Gruppe (in der ich mit Uwe Schwensfeier von der LG Haltern einen weiteren Teilnehmer identifizieren konnte) selten so konstant gelaufen: 10km: 1:01.30 +/- 5sec; 20 km 2.03.00 +/- 5 sec).

Jetzt jedoch fiel die Gruppe auseinander. Auf der Stichstrecke war ich nun derjenige, der hinter sich ins Feld blicken konnte. Nach 2 km sah ich den letzten 50er. Ich halte also 4 km Vorsprung, das war beruhigend, denn Letzter wollte ich auch nicht werden. Denn jetzt war ich mir bereits sicher, tatsächlich anzukommen und meinen ersten Ultra zu vollenden: " Mensch, es sind nur noch 23 km. Das schaffst Du noch, Dir geht’s gut" sagte ich zu mir. Und ich hab’s mir sogar geglaubt. Jetzt begann ein Phase des In-sich-hinein-horchens. Ich stellte fest, daß ich noch keinerlei Müdigkeitserscheinungen hatte. Da die Pacemaker-Truppe sich aufgelöst hatte und nun vor mir nur noch einzelne Läufer auftauchten, die langsamer als ich schienen, habe ich unmerklich mein Tempo gesteigert und so nach und nach die ersten Läufer eingesammelt. Euphorie machte sich breit, die mich an der Verpflegungsstelle bei km 28,5 auf einen Zuruf "Viel Spaß noch auf der Runde" zu der Antwort verleiten ließ: "Schade, daß es die letzte ist". Antwort "Für Dich bleiben wir auch extra länger da". Hab dann doch lieber abgewunken. Bis zu dieser Getränkestelle kamen auch immer wieder 25er entgegen, viele von mit anerkennenden Blicken oder Gesten für uns 50er. Mann, ging das runter.

Nach 29 km das nächste Highlight: ca 200 m voraus Step. Sofort habe ich anfangen zu rechnen. Wenn er 10 sec pro km langsamer ist als ich dann, brauch ich ungefähr 6 km um ihn einzuholen (ein weiteres mal also - hier ungewollt - Motivation durch Step). So lang hat’s aber nicht gedauert, denn schon bei 32 hatte ich ihn. Schöne Dreisatzaufgabe: Wenn ich 6min0sec für den Kilometer gebraucht habe, wie schnell war dann Step?

Er rannte aber nicht alleine, sondern mit Support von Verena, wie Ihr schon aus ihrem Bericht wißt. Ich wußte das da natürlich nicht, wunderte mich beim Näherkommen über einige von ihr vorgetragene literarische Wortfetzen, die ich mitbekam, und hab dann natürlich mit der Frage, ob das Steps privates Literaturprogramm in Anlehnung an das Literaturcafe aus dem VirtuTEL sei, den Vortrag unterbrochen, wie Verena in ihrem Bericht kritisch vermerkt. Bitte um Nachsicht für meine Neugier, und zum Glück konnte Verena ja wieder denn Faden aufnehmen bzw. zurückspulen. (Diese Episode bewog mich übrigens zu den kulturlastigen Überschriften dieses Berichtes.)

Kurz danach jene Getränkestelle, die an einer kurzen Stichstrecke liegt. Hier begegnete nochmals der Step, mit der Ankündigung "Dich krieg ich noch". Damit ein letztes Mal Motivation durch ihn. Inzwischen hatte ich bereits weitere "Opfer" an der Wendestrecke ausgemacht, an deren Verfolgung ich mich jetzt machte. Immer einige hundert Meter auseinander, so daß ich meistens einen halben bis einen Kilometer brauchte, um die Mitstreiter ein- und überzuholen. Auch eine Form der Abwechslung. Jedenfalls war der vierte mit ziemlich genau 1:00:00 mein schnellster Abschnitt (dritter wie die ersten beiden 1:01:30 +/- 5 sec). Und kein "Mann mit dem Hammer" weit und breit. Aber auch kein Läufer: zeitweilig war ich ganz allein im Wald und dachte bei mir, "jetzt holst Du keinen mehr ein", aber immer wieder fand sich jemand der mich zog. Wobei mein Überholen wohl weniger auf meine moderate Geschwindigkeitserhöhung als auf das nachlassende Tempo der anderen zurückzuführen war. Längst war das Ziel 5:30:00 durch das Ziel 5.10:00 ersetzt worden. Bei Erreichen der Marathonmarkierung dachte ich nur "Aha, haste jetzt geschafft". Fehlendes Triumphgefühl war nicht etwa durch Entkräftung zu erklären, sondern durch die Tatsache, daß meine bisher längste Strecke der Rennsteig-Marathon mit 43,1 km war. Als ich diese imaginäre Marke passierte, gab ich mir selbst ein Tusch... und lief weiter. So ab 45 km merkte ich dann doch, daß ich heute kein couch potatoe war. Glücklicherweise tauchten vor mir wieder in schönen Abständen einige "Opfer" auf, dazu einige, die mich in der ersten Runde überholt hatten. Alle habe ich sie noch kassiert (ingesamt waren’s auf der zweiten Hälfte ca 20, ohne daß mich nur einer überholt hätte - man muß halt nur weit genug hinten starten). Nur so kann ich mir erklären, daß der letzte Abschnitt mit 1:00:45 nur wenig langsamer als der schnellste und noch schneller als die ersten drei war.

Aber ich greife vor, denn noch bin ich ja auf der Strecke. Zu Beginn der Stichstrecke an der letzten Verpflegungsstation, die damit mit der ersten identisch, wieder ein Flachs mit den Supportern. Mann, bin ich noch gut drauf! Dann die Stichstrecke, die letzten KM. Jetzt müßte doch langsam ein Triumphgefühl aufkommen. Dann die letzte Kurve, das Ziel.

Epilog

Ich hab’s geschafft! Aber seltsam nüchtern trotz des unerwarteten Erfolges: 5:05:16, damit 130. von 176 (von den Startnummern her müßten‘s eigentlich mehr gewesen sein. Einige werden wohl der Verlockung, nach der ersten Runde aufzuhören, erlegen sein) und deutlich unter Zeitziel, dazu noch einen negativen Split mit 2:34:03 und 2:31:13.

Aber die Begeisterung über mich selbst wächst (deswegen darf ich diesen Bericht auch nicht später schreiben, da sonst das Eigenlob überhand nehmen würde).

Gespannt warte ich jetzt noch auf die Fotos vom Veranstalter, denn ich habe bei jeder Gelegenheit unterwegs mit V-Zeichen oder ähnlichem "posiert".

Erwähnen will ich noch, daß der Findehamster und RH Holger einen noch besseren Split hingelegt haben, alle Achtung.

... und Step kam auch nur kurz nach mir ins Ziel.

Fest steht, daß ich mal wieder kommen werde. Jetzt aber bin ich schon "heiß" auf Rodgau, wo ich natürlich meine Zeit verbessern will.

Mann, ist der Bericht lang geworden. Aber es war ja auch ein Ultra l a n g  lauf.



© Thomas Enck, 09. November 2004

Weitere Info's und Berichte zum Lauf: