Tritt ein, bring Glück herein

Stop, leider geschlassen!

 

Bericht Kubanische Radreise - Ultramarathon beim Steppenhahn (02.2005)

Zufälliges Zitat

"In ultrarunning, the pain is inevitable, but the suffering is optional."

Al Bogenhuber

Nächster Ultramarathon

Elisabeth Herms-Lübbe , 18. Februar 2005

Auch ein Steppenhuhn macht mal Urlaub, und dann mag ein solch unruhiges Wesen eigentlich nicht so gern im Bus sitzen oder am Strand schmoren. Also besser rauf aufs Fahrrad und rein ins Abenteuer. Meine Empfehlung: Kuba. Wir sind gerade zurück.

Kubanische Radreise

Wie hab ich sie damals beneidet! Als wir vor Jahren auf einer Busreise in Burma in der tiefen Provinz waren, wohnten wir in einem Hotel zusammen mit einer Radreisegruppe. Als die Radfahrer morgens starteten, wäre ich so gern dabei gewesen: unverstellt der Blick nach vorn auf die unbekannte Straße, Reisen als sinnliche und körperliche Erfahrung.

Ob Burma oder Kuba, bei allen Widrigkeiten haben Diktaturen einen Vorteil: Sie begünstigen das Fahrrad. Wenn Ideologie den Fortschritt behindert, gibt es wenig Autos und viele Räder zur Bewältigung des Alltagstransports. Da kann man sich als Tourist bequem und relativ ungefährdet einreihen. Man wird sogar auf der Straße gern gesehen allein schon aus dem Grund, dass man Abwechslung in den Alltag bringt.

Kuba ist eine schöne Insel: umgeben von allerlei Stränden, es gibt Berge und Flachland, Landwirtschaft und Naturschutzgebiete, Flüsse, Stauseen, Städte mit schönen, bröckeligen Bauten. Und irgendwie sind die Menschen auch ziemlich schön. Jedenfalls sind sie durchweg nett und freundlich, sogar die allgegenwärtigen Polizisten und anderen Überwachungsleute, die immer am Aufschreiben sind und so nicht nur helfen, den Fortbestand der fast 50 Jahre alten Revolution sicher zu stellen, sondern im Nebeneffekt auch die Sicherheit des Individualreisenden gewährleisen. Dieses Detail war uns jedoch noch nicht so ganz gegenwärtig bei Reiseplanung. Durchgehend geplant haben wir nicht, nur grob, und uns dann treiben lassen, was ein gutes Konzept war.

Mein Mann und ich hatten also unser diesjähriges Reiseziel gefunden. Ohne unseren genialen Radreiseführer (Barbara and Wally Smith: Bicycling Cuba, bezogen über amazon) hätten wir die Tour allerdings nicht gemacht. Bücher von so mitreißender Begeisterung mag ich. Dazu ist er so detailliert, dass man einfach nur die beschriebenen Strecken nachzuradeln und die angegebenen Quartiere aufzusuchen braucht. Blind haben wir auf ihn vertraut und sind nicht enttäuscht worden.

Wir haben unsere Räder im Flugzeug mit nach Havanna genommen. Es waren unsere robusten Alltagsräder, bewährte Tourenräder, halbwegs leicht, weil ohne großen Federungsschnickschnack. Verpackt hatten wir sie nicht, denn wir wollten von Holguin, einem anderen Flughafen im Südosten der Insel, wieder zurück fliegen. Wo hätten wir denn mit der Verpackung bleiben sollen? Unsere Packtaschen, die wir ja selbst am Rad transportieren sollten, hatten wir nach Bergsteigerart gepackt, möglichst nichts Überflüssiges darin, was uns allerdings nicht vollständig gelungen ist. Die Räder haben den Flug in brauchbarem Zustand überstanden, hin und zurück.

Um den Sozialismus erträglicher zu machen, ist in Kuba seit geraumer Zeit Kleingewerbe zugelassen, wie zum Beispiel Obst- oder Sandwichhändler an der Straße oder Gewerbe zur Beherbergung und Verpflegung von Gästen. Das gibt so eine Art Bed- and-Breakfast-Häuser. Sind die Kinder groß oder die Großeltern verstorben, wird das freie Zimmer vermietet. Gegessen wird am Familienesstisch. Die Häuser sind von außen gekennzeichnet und die guten wurden auch in unserem genialen Reiseführer empfohlen. Eins in Havanna hat sogar e-Mail-Anschluss, das hatte ich schon vor Reiseantritt gebucht, damit wir wussten, wo wir zunächst unsere müden Häupter betten und unsere weit gereisten Räder unterstellen konnten.

Die nächsten Tage in Havanna waren, ohne dass wir es darauf angelegt hätten, von Turbotourismus geprägt, denn wir haben alles Sightseeing mit dem Rad absolviert und waren sofort und direkt an allen Orten, zu denen wir wollten: am Malecon, der Uferstraße, wo das Meer toste und Wellengespritze über Autos und leider auch über uns und unsere nun rostenden Fahrräder verteilte, und an den vielen älteren Prachtbauten, die mehrheitlich in einem Zustand zwischen morbidem Charme und sozialistischer Verlotterung sind. Häufig braucht man einen Archäologenblick, um sie vor dem inneren Auge in ehemaliger Schönheit zu sehen. Gebäude von hohem Repräsentationswert sind selbstverständlich besser gepflegt, wie das Capitolio, das so groß ist wie sein bauliches Vorbild in den USA, oder wie das Revolutionsmuseum, in dem Mengen höchst banaler Objekte wie Reliquien dargeboten werden, oder wie die Bürgerhäuser in der Altstadt, wo die Leute aus den Touristenbussen hingeschickt werden.

Dann begann die Radtour im engeren Sinn, und zwar, nachdem wir uns aus der Stadt mit den schaurig stinkenden Autos herausgearbeitet hatten, mit einem furiosen Auftakt auf der Autobahn. Mein lange heimlich gehegter Traum erfüllte sich. Ja, das ist erlaubt und wegen allgemein geringer Verkehrsdichte sinnvoll. Auch Pferdewagen fahren dort, Kühe und Ziegen sind bisweilen da, Mädchen machten Lauftraining. Die Autobahnränder, an denen wir manchmal gesessen und Pause gemacht haben, waren anders als bei uns appetitlich sauber, wie überhaupt, auch in den Städten, alles sauber war, weil es einerseits kaum etwas zum Wegwerfen gibt, andererseits die Straßenreiniger täglich vorbei kommen. Das Gras, wenn auch schon ziemlich von Trockenheit gezeichnet, wurde allerorts von Arbeitern mit machetenartigen Geräten gekürzt. Vielleicht waren das auch Bauern, die Futter für ihr Vieh holten, das wegen der Trockenheit knapp wurde. Wir kamen schnell und ohne Gefahr, den Weg zu verlieren, voran.

Zuerst haben wir uns im Westen Kubas umgetan. Die schönste Landschaft dort ist die mit den Mogoten, hohen, schroffen Kalkfelsen, kopf- oder kegelförmig, die aussehen wie auf chinesischen Zeichnungen. Sie sind manchmal 200 Meter hoch, manchmal auch so klein, dass ein Acker schon mal seinen eigenen Felsen haben kann. Wenn es die Steilheit erlaubt, sind sie begrünt bis bewaldet. Zwischen ihnen ist eine kleinbäuerlich geprägte Landschaft mit Feldern, auf denen Tabak, Gemüse und Mais wachsen. Baumgruppen sind dazwischen eingestreut und kleine bewaldete Bachläufe, zu den Häusern schlängeln sich Pfade. Fährt man hindurch, erscheint einem alles so unwirklich, als sei man nach einem Zeitsprung in ein anderes Jahrhundert geraten, weil kaum Spuren vom Wirken neuzeitlicher Technik zu sehen sind. Ochsen ziehen Schlitten mit Trinkwasser oder pflügen unter wohlklingenden Rufen ihrer Treiber Felder, Bauern zu Pferd, immer eine Machete wie ein Schwert an der Seite, auf den Veranden der bescheidenen Häuser Schaukelstühle für die Entspannung nach körperlicher Arbeit. Man kann sich auch fühlen wie in einer Werbung: angelangt an einem Sehnsuchtsziel der Industrienationen-Menschheit, nur sind die Lifestyle-Werber hier noch nicht gewesen.

Unser nächster Reiseschwerpunkt war der Mittelteil der Insel mit der malerischen Kolonialstadt Trinidad. Die Strecke dorthin fuhren wir mit dem Bus, die Räder unter drin. Trinidad mit dem Kopfsteinpflaster, mit den Häusern in kräftigen Pastellfarben, die teilweise abbröckeln und ältere Farbflächen freigeben, sowie den unterschiedlichen Schmuckgittern vor den Fenstern, die eigentlich so wenig Funktion haben und so zwingend dazu gehören wie bei uns Tüllgardinen, ist eine Stadt für Fotografen. Auch wir haben die meisten Fotos in Trinidad gemacht. Gewohnt haben wir wenige Kilometer vor der Stadt am Strand, wo es endlich warm genug zum Baden und Sonnen war.

Bei allen bescheidenen Lebensumständen, mit denen sich die Kubaner herumschlagen müssen, haben sie Lebensqualitäten, die es bei uns nicht gibt. Da kommen junge Männer auf ihren Pferden an den Strand, ihre Mädchen mit auf den Pferden. Man sonnt sich ein wenig, man flirtet und scherzt, und man planscht im Meer, wobei die Pferde mit hinein müssen, was sie eigentlich nicht wollen. Oder da schicken Eltern aus ihrem zentral in einer Kleinstadt gelegenen Haus ihr Kind, das gerade laufen gelernt hat, vor die Tür auf die Straße, und trinken ruhig ihren Kaffee weiter.

Von Trinidad fuhren wir wieder mit dem Bus weiter, zwölf Stunden lang - Kuba ist ungefähr 1500 Kilometer lang, da kommen schon ordentliche Strecken zusammen - bis nach Santiago im Südosten der Insel. Die Landschaft ist recht eintönig und von Zuckerrohr geprägt, das erntereif und langweilig wie Schilf neben der Straße stand.

Das Stimmungsvollste in Santiago waren unsere abendlichen Cocktails auf der Terrasse des Hotels an der Kathedrale. Von dort blickt man auf den Zentralplatz. Herausgeputze Kinder fahren auf handgeschmiedeten Fahrzeugen unter den Augen ihrer durchgestylten Eltern wonnevoll immer darum herum. Daneben, auf den Parkbänken, finden gemächlich Verhandlungen zur Prostitution statt: Alter Bock sucht junge Schönheit. Umgekehrt geht es auch, alte Schönheit sucht jungen Bock, das findet aber nicht hier statt. Hat man sich dann gefunden, setzt man sich zur Einstimmung auf einen Cocktail auf die Hotelterrasse, schaut auf den Platz und sieht zu, wie es den Kolleginnen ergeht. Dazu spielt mal die eine, mal die andere Band, jede hinreißend schön.

Darauf fuhren wir an der Küste längs, da, wo über das Meer Jamaika ist: unwirklich blaues Meer, Felsen, zwischen den Felsen kleine Strände und natürliche Salzwasserteiche, sozusagen Lagunen, die durch hochgehobene Korallenbänke vom Meer abgeschnürt sind, und in deren klarem Wasser man schwimmen und sich wie im Aquarium fühlen kann. Die Küstenstraße ist so gut wie ohne Verkehr, weshalb sie auch schlecht gepflegt und voller Löcher ist. Und da gibt es natürlich auch keine touristische Infrastruktur, so dass wir uns über Tag alles Trinkwasser und Essen selber mitnehmen mussten. Das Essen bestand aus Obst, das wir zufällig Bauern abkaufen konnten, und aus staubtrockenen brasilianischen Keksen, denn etwas anderes gab es nicht, und selbst die waren schwer zu bekommen. Dafür wurden wir mit einer göttlichen Umgebung entschädigt. Übernachtet haben wir einmal in einer staatlichen Ferienanlage, wo wir gute Chancen zum Verhungern gehabt hätten, wären wir länger geblieben. In den Privatunterkünften hatten wir es besser gehabt: Da hat man uns umsorgt und Essen bereitet. Überhaupt waren wir in einer jeden mitten drin im kubanischen Alltag, immer anders, je nach Art des Hauses. Das hat ganz wesentlich den Charme unserer Reise ausgemacht.

An diesem Küstenabschnitt von erhabener Einsamkeit gibt es aber weder solch gastliche Häuser noch Hotels, sondern nur einige wenige All-inclusiv-Anlagen, die hauptsächlich von Kanadiern zur Erholung genutzt werden. Dort haben wir uns dann für einige Tage eingemietet, mit den Kanadiern über George W. Bush abgelästert, und am Strand gelegen, um rot zu werden, wie die Kubaner sagen, bevor wir unsere Tour fortgesetzt haben, weiter durch die Provinz, wo der Mangel verwaltet wird. Zweimal waren wir dann in staatlichen Hotels, jedes Mal dasselbe Spielchen: fünf Leute in Uniform am Empfang, fünf Leute in Uniform im Speisesaal, und auf den Tellern große Armut. Der Sozialismus lebt.

Wenn wir auf Hauptstraßen entlang fuhren, überholten uns manchmal Touristenbusse mit der Aufschrift ?Cubanacan?. Intuitiv bin ich geneigt, das mit ?Kuba in der Dose? zu übersetzten. Da sind sie eingedost hinter verspiegelten Scheiben. Die Dose zieht vorbei und ist ohne Einfluss auf Landschaft und Leute. Auch Hotelanlagen gehören zu ?Kuba in der Dose?. Die All-inclusiv-Anlage mit den Kanadiern war so eine. Also hinein in die Dose. Jeder bekam ein rotes Band um den Arm wie ein Zugvogel, der beringt wird. Dafür bekamen wir auch Essen von früh bis spät und Cocktails, bis der Zucker uns die Kehle zuklebte. Man kann es aber auch umgekehrt herum betrachten. Ganz Kuba befindet sich in einer Dose, geschaffen durch das jetzt schon seit fast einem halben Jahrhundert währende Embargo durch die USA, den Zusammenbruch der befreundeten Sowjetunion sowie den kubanischen Trotz gegen das alles, verbunden mit Stolz auf das, was entgegen den widrigen Umständen geschaffen wurde. Darinnen herrschen andere Regel und Wirtschaftsgesetze, und es gilt so eine Art Spielgeld. Die normale Außenwelt dringt manchmal in geschlossenen Partikeln in Form von Bussen oder All-inclusiv-Anlagen darin ein. Wir als Radfahrer waren Grenzgänger und in der glücklichen Lage, mal der einen, mal der anderen Welt angehören zu dürfen. Zu den Grenzgängern darf man in gewisser Weise auch die Betreiber der Privatunterkünfte rechnen und andere Leute, die mit Touristen zu tun haben.

Zusammengefasst: Es war ein sehr erlebnisreicher Urlaub in verschiedener Hinsicht, bei dem die positiven Erlebnisse bei weitem überwogen. Sport und einige müßige Tage am Strand hat er geboten. Es war auch ein Bildungsurlaub, bei dem man über die Widersprüche im Land nachdenken konnte. Und es war eine Art Erziehungsurlaub. Die Vorzüge, die wir zu Hause haben, wissen wir nun wieder zu schätzen.

Das geneigte Steppenhuhn fragt jetzt vielleicht: Kann man da auch laufen? Ja, selbstverständlich, ein Steppenhuhn kann überall laufen. Aber es ist unüblich, außer den beiden Mädchen auf der Autobahn habe ich keine Läufer gesehen. Ich bin aber trotzdem manchmal gelaufen, um die Füße halbwilde Hunde. Vor menschlichen Übergriffen braucht man ? hier eher frau - sich nicht zu fürchten, die Leute geben zwar ihre Kommentare, aber sind locker drauf. Das hat folgenden Zusammenhang: Nach der Revolution hat sich Fidél mit dem zuständigen Erzbischof angelegt, worauf Fidél exkommuniziert wurde. Darauf hin wurde nicht nur Weihnachten abschafft, sondern auch munter viele andere Sitten und Gebräuche, die uns das liebe Jesulein beschert hat. Deshalb die karibische Unverklemmtheit.

Zum Schluss noch einige Zahlen:
Null Pannen hatten wir.
Null Diebe, Räuber oder Betrüger sind uns begegnet.
Einige Kilos haben wir abgenommen, die zu quantifizieren ist jedoch müßig, die sind schon fast wieder da.
Ungefähr 1000 nette Kubaner haben wir getroffen, und drei kubanische Muffelköpfe.
In fünf verschiedenen Hotels, acht verschiedenen Privatunterkünften und einer sozialistischen Ferienanlage haben wir gegessen und geschlafen. Eine Privatunterkunft kostet für zwei Personen pro Nacht durchschnittlich 25 US-Dollar, das Frühstück und Abendessen noch mal so viel. Die staatlichen Hotels in der Provinz sind nicht teurer, die an den touristischen Schwerpunkten schon.
14 Individualreisende auf Rädern haben wir gesehen. Da sind noch Kapazitäten frei!
Zwischen 19 und 25 Grad war es tags.
Knapp 900 Kilometer sind wir in knapp vier Wochen geradelt. Nun, wir sind nicht mehr so ganz jung, und schließlich hat man ja auch Urlaub.
Ungefähr 1750 Euro pro Person haben wir für die Reise mit allem drum und dran, nicht gegeizt und nicht geplempert, ausgegeben. Allerdings war der Flug dabei ziemlich teuer, denn Tsunami-bedingt wollte alle Welt nach Kuba.


© Elisabeth Herms-Lübbe, 18. Februar 2005