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Berlin-Moskau Eine Reise zu Fuß - Wolfgang Büscher
349923677X10.2004,
Rowohlt Taschenbuchverlag 2004 / 237 Seiten / 8.90 Euro

Das ist zweifellos mein liebstes Buch in diesem Sommer gewesen.

Wolfgang Büscher ist im Jahr 2001 von Berlin nach Moskau gewandert und hat einen Reisebericht geschrieben. Er war im Gedenken an seinen Großvater unterwegs, den er nie kennen gelernt hat und der als deutscher Soldat im 2. Weltkrieg auf diesem Weg irgendwo gefallen ist. „Jeder hat so sein Programm, und wenn die Umstände günstig sind, erfüllt man es.“
Für Steppenhühner ist Berlin-Moskau zu Fuß okay und eher normal. Dieser Bericht dazu ist jedoch ungewöhnlich intensiv und eindringlich.
„Eines Nachts, als der Sommer am tiefsten war, zog ich die Tür hinter mir zu und ging los, so geradeaus wie möglich nach Osten…..Etwas Scham fiel auf mich angesichts der Ungeheuerlichkeit des Satzes, ich gehe heute nach Moskau.“
Schon bald muss er Warnungen anhören: „Bis Sie in Moskau sind, sind Sie dreimal tot. Die Beine kriegen einen Krampf, das schafft kein Mensch, Sie bleiben im Straßengraben und niemand liest Sie auf.“
Und manchmal hat er auch Selbstzweifel. „Es gab Abende, an denen die Absurdität meines Tuns mir so zusetzte, dass ich nahe daran war, zum Bahnhof zu gehen und mir eine Fahrkarte nach Berlin zu kaufen.“
Er geht an Straßen längs. „Wenn ein Tag es gut mit mir meinte, legte er mir Teppiche aus. Dann wuchs Gras auf den Seitenstreifen, und es war frisch gemäht.“ „Die Straße nach Moskau glänzte. Silberfäden flogen durch die Luft, Regenseen glitzerten in der Sonne. Ein wunderbarer Morgen, um nach Moskau zu gehen.“
„Ich ging den Weg Napoleons und der Heeresgruppe Mitte.“ Das ist über weite Strecken der Weg, den auch zwei Jahre später die Transeuropaläufer genommen haben und den jetzt die Steppenhühner virtuell nachvollziehen.
Er beobachtet landestypische Dinge: „Die letzte Sonne stand hoch und warm auf dem Zentralplatz, ich setzte mich auf den Sockel eines Lenindenkmals, eine Ausführung in Beton, panzergrau getüncht, mit erhobenem rechten Arm. Genau da, wo sich beim heiligen Georg der Drache um dessen Speer windet, wand sich eine graue Sowjetfahne um Lenins Fahnenstange.“
Nach einer längeren Zeit stellt er fest: „Der Gang bis hierher hatte Kraft gekostet, sie mir aber durchaus nicht genommen. Ich war immer stärker geworden beim Gehen, es war köstlich zu gehen, und wenn es mich auszehrte, wenn der Regen mich peitschte und die Sonne mich briet, war es gut, weil es eben so war und nicht anders sein konnte.“
Moskau, das Ziel, übt einen Sog aus. Dieser überträgt sich auf den Leser, so dass er geneigt ist, viel zu schnell zu lesen. Jedoch ist das Buch so dicht geschrieben, dass dabei viele Ereignisse und Bilder überlesen werden. Das ist aber nicht weiter schlimm, denn man kann es mit Gewinn ein zweites Mal lesen. Das ist anders als beim Zweitlesen von Bruce Chatwin, mit dem Werner Büscher auf dem Einband verglichen wird. Chatwin wird dann kitschig, Büscher niemals. Das verhindern seine knappen sachlichen Sätze. Aussagen und Bilder, schlicht und in geballter Kraft, folgen schnell aufeinander. Es ist fast so, als wäre jedes Wort ein kraftvoller Schritt in Richtung Ziel, es gibt keine Hampeleien auf der Strecke. Es gibt jedoch einige Exkurse, sonst wäre der Gang wohl langweilig geworden. Allerdings muss der Leser vorm Zweitlesen den Widerwillen überwinden, den man vom Mensch-ärgere-dich-nicht-Spiel kennt: Ich war doch schon in Moskau, und nun wieder zurück nach Polen?
Eine beachtliche sportliche Leistung hat der Autor vollbracht. Dieser Aspekt ist weniger im Buch zu finden, sozusagen zwischen den Zeilen nur. Für die Interessierten: 82 Tage ist er unterwegs gewesen mit einem Wochenpensum von ca. 300 km.

Elisabeth Herms-Lübbe
Kommentare Kommentare dazu:
 
  • Danke für den Buchtip Fritz 23-03-2005 13:51

Fritz schrieb am 23-03-2005 13:51:

Danke für den Buchtip

Hab's mir gekauft und begeistert gelesen, werd's bei Gelegenheit nochmals durchforsten!!!
Fritz Madlmair

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