Tritt ein, bring Glück herein

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Bericht Jungle-Marathon - Durch Himmel und Hölle - Ultramarathon beim Steppenhahn (01.2004)

Zufälliges Zitat

"Any idiot can run a marathon - it takes a special kind of idiot to run an ultramarathon."

Alan Cabelly

Nächster Ultramarathon

Robert Pollhammer , 9. Januar 2004

Jungle-Marathon - Durch Himmel und Hölle

200 Kilometer durch den Dschungel des Amazonas

Um es gleich vorweg zu nehmen: Das Amazonasgebiet ist ein Paradies und nicht der Ort, an dem Schurken im Fegefeuer schmoren. Doch Klima, Flora und Fauna können für Abenteurer schnell zur Gefahr werden. Das gilt besonders, wenn Athleten aus aller Welt beschließen, bei der Premiere des Jungle Marathons 200 Kilometer durch diese einzigartige Natur zu laufen.

Vor dem Rennen

Schon bei der Anmeldung wenige Monate vor dem Rennen, frage ich mich: "Weshalb will ich das machen? Und wieso gibt es 45 andere Läufer, die sich dieser Herausforderung ebenfalls stellen wollen?" Brasilianische Eliteeinheiten, speziell ausgebildet für den Kampf im dichten Grün, empfehlen, höchstens 20 km pro Tag im Urwald zurückzulegen - wir werden bis zu 80 km am Stück laufen! Dabei schwanken die Temperaturen zwischen 30 und 40° C und die relative Luftfeuchtigkeit beträgt 80 bis 90%. Von den Gefahrquellen dieser bisweilen menschenfeindlichen Umwelt ganz zu schweigen. Warum also gerade dort laufen? Die Antwort ist einfach: "Darum". Es ist die Sucht nach Abenteuer und der Wunsch, Grenzen zu erfahren.

Tag 1

Fast alle Teilnehmer kommen gleichzeitig in Manaus, der Hauptstadt des Bundesstaates Amazonas, an. Traditionell gekleidete brasilianische Schönheiten überreichen Begrüßungsgeschenke, erste Kontakte zu anderen Athleten werden geknüpft, Kamerateams bitten zum Interview - die Aufregung ist groß. Unsere Unterkunft für diese Nacht ist das "Tropical", das schönste Hotel der Stadt. Beim Abendessen erhalten wir erste Details zu den kommenden Tagen. Es wird viel diskutiert - über Ausrüstung, Verpflegung und natürlich die zahlreichen Risiken.

Tag 2

Mit einem Flussboot geht es in acht Stunden von Manaus zum Ausgangspunkt des Rennens, wodurch sich eine gute Gelegenheit ergibt, die anderen Teilnehmer kennen zu lernen. Aus Deutschland sind der erfahrene Ultraläufer Eberhard Frixe sowie der Musiker und Extremsportler Joey Kelley ebenfalls am Start. Die Landschaft ist beeindruckend - insbesondere dort, wo das dunkle Wasser des Rio Negro auf die braunen Fluten des Amazonas trifft. Die mittlerweile nächtliche Fahrt auf immer kleineren Flussläufen wird zu unserem ersten Abenteuer. Es ist uns ein Rätsel, wie der Kapitän seinen Weg findet. Doch wir kommen unversehrt an und verziehen uns nach einer kleinen Mahlzeit in unsere Hängematten.

Tag 3

Heute ist Einweisung angesagt. Im eigens für den Jungle Marathon errichteten Camp erfahren wir von Experten der brasilianischen Armee die für das Überleben im Dschungel wichtigsten Regeln. Alle sind konzentriert, keiner will einen wichtigen Tipp verpassen. Spätestens jetzt wird klar, dass wir nicht in Disneyland sind. Gefahren, wie zum Beispiel ein Rudel wilder Schweine, lauern überall. Die Lösung in diesem Fall: Möglichst schnell auf einen Baum zu klettern. Aber Vorsicht: Viele Bäume haben Stacheln!. Und natürlich könnten dort Schlangen und Spinnen auf uns warten. Außerdem hat kaum ein Baum Äste, die man zum Erklettern nutzen kann... Noch Fragen?

Tag 4 - Der Start

Es wird Ernst: Sechs Etappen unterschiedlicher Länge und Schwierigkeit warten auf uns. Der Startschuss fällt um 7 Uhr. Zwar legen wir heute nur 27 km zurück, doch schnell zeigt sich, was diese Umwelt uns alles abverlangt. Es geht durch Matsch und hüfthohes Wasser, über Wurzeln und Bäume, steil nach oben und nach unten. Es ist dämmerig, denn die Sonne scheint nur spärlich durch die dichten Baumkronen. Schon nach fünf Minuten ist die Kleidung klitschenass. Zu meiner Überraschung macht es mir Spaß - das ist Abenteuer! Ich gehe schnell voran und überhole viele Teilnehmer. Doch plötzlich stehe ich vor einem umgefallenen Baumriesen und weiß nicht weiter. Rote Bändchen, die als Wegmarkierung dienen, sind weit und breit nicht zu sehen. Die eben überholten Läufer schließen wieder auf und gemeinsam finden wir einen Weg. Es wird sich noch des Öfteren zeigen, dass es nicht immer von Vorteil ist, schnell unterwegs zu sein.

So langsam macht mir die Hitze zu schaffen. Die letzte Stunde ist eine Qual. Andauernd stolpere ich. Dann ist es endlich geschafft: Ich erreiche das erste Etappenziel. Ich habe starke Kopfschmerzen, doch anderen geht es noch schlechter. Patrick aus Kanada muss sogar aufgeben. Trotz einjähriger Vorbereitung kommt er Stunden nach mir völlig dehydriert ins Ziel und ist am Ende seiner Kräfte. Andere kämpfen mit ersten Blasen. Das unausweichliche häufige Wasserlassen nachts ist eine spannende Angelegenheit, da ich vergessen habe, Sandalen mitzubringen und meine nassen Laufschuhe nicht benutzen will. So hoffe ich, barfuss auf keine Skorpione, Schlangen oder Taranteln zu treffen.

Tag 5

Morgens geht es mir wieder besser. Voller Enthusiasmus stehen wir alle zum Countdown am Start. 31 km stehen auf dem Programm und dieses Mal lasse ich mir mehr Zeit. Mit 3,5 Litern habe ich sehr viel mehr Wasser dabei als andere, die Gewicht sparen wollen. Diese Teilnehmer leiden heute ganz besonders, denn der nächste Checkpoint ist schnell erreicht und danach folgt eine lange Durststrecke.

Heute sind die begleitenden Ärzte und Krankenschwestern stundenlang beschäftigt: Kreislaufprobleme, Dehydration und erste ernsthafte Blasen wollen versorgt werden. Dann noch die Hiobsbotschaft, dass Frederik, Sieger der ersten Etappe, vermisst wird. Es vergehen mehrere Stunden, während wir im Fluss baden und versuchen, unsere Kleidung zu trocknen. Dann endlich kommt auch der Schwede an. Erleichterung. Im Lager macht sich Ernüchterung breit. Es wird viel diskutiert - über Entfernungen und ob man glaubt, die ganze Distanz zu schaffen. 192 km liegen noch vor uns, doch viele Teilnehmer sehen so aus, als hätten sie schon 192 km hinter sich. So ist es eine erfreuliche Nachricht, als Renndirektor Steve Walsh verkündet, dass die nächste Etappe von 33 auf 9 km gekürzt wird.

Tag 6

Auch 9 km können anstrengend sein, doch das Ziel ist greifbarer. Ich versuche, Tempo zu machen. Am Checkpoint treffen wir auf Frederik. Es geht ihm schlecht und er muss mehrere Gänge zurück schalten. Die "verlaufenen" Kilometer fordern ihren Tribut. Später erfahre ich, dass er am Vortag aus Verzweiflung ungefiltertes Flusswasser getrunken hat. Am Ende dieser Etappe erwartet uns ein wahres Paradies. Wir sind mitten im Dschungel auf einer Lichtung. Ein glasklarer Bach fließt durch das Gelände und wir verbringen einen Großteil des Tages im kühlen Nass. Beim abendlichen Briefing wird verkündet, dass die nächste Etappe ebenfalls von 35 auf 21 Kilometer gekürzt wurde. Unter erleichtertes Raunen mischt sich vereinzelte Kritik.

Tag 7

Ich gehöre zu denen, die über die Verkürzung nicht glücklich sind, denn ich hatte mir meine Kräfte bewusst eingeteilt. Aber egal, dann werde ich eben heute ab der Hälfte richtig Gas geben. Das Gelände gleicht den Vortagen. So komme ich gut in Schwung und bin völlig perplex, als mir nach circa 13 km ein Helfer begegnet und mitteilt, das Ziel sei gleich um die Ecke. Ich bin sauer und mit meinem Unmut nicht allein. Viel zu früh sind wir im Camp. Die Sonne knallt und Schatten ist nicht in Sicht. Das verbessert die Stimmung nicht gerade. Am Abend erfahren wir, dass die Guides beim Anlegen von Verbindungswegen einen Fehler gemacht haben, die zusätzliche Kürzung also nicht beabsichtigt war. Ich versuche es positiv zu sehen. Schließlich liegt eine Etappe von 80 km vor uns, deren Zeitlimit 35 Stunden beträgt. Die besondere strategische Herausforderung dabei sind die letzten 13 km. Nach 30 km Wald und 36 km Plantagenwegen im offenen Gelände führen diese nämlich wieder durch den Dschungel. Die guten Läufer werden noch nachts dort eintreffen und müssen sich überlegen, ob sie es wagen, ins dunkle Dickicht einzutauchen. Nach Sonnenuntergang lebt der Urwald: Alles, was kriecht, bewegt sich.

Tag 8

Die ersten 30 km Dschungel vergehen erstaunlich schnell. Wieder hat es mir geholfen, ausreichend Wasser dabei zu haben. Das viele Trinken fällt nicht mehr so schwer und mein Kreislauf kommt gut mit der Hitze zurecht. Umso mehr Respekt habe ich vor den Plantagenwegen. Hier sind wir der Äquatorsonne schutzlos ausgesetzt. Doch ich habe Glück. Immer wenn die Sonne beinahe unerträglich erscheint, kommt ein kleiner Bach. So schaffe ich es ohne größere Probleme in Begleitung einer sehr netten brasilianischen Journalistin zum nächsten Checkpoint. Ich muss nicht lange überlegen, als mir dort angeboten wird, mit vier Briten die restlichen 24 km zur Urwaldgrenze im Dunkeln zurückzulegen - keiner von uns hat Lust, die Strecke tagsüber zu absolvieren.

Nicht alleine "on track" zu sein, verleiht mir neue Kräfte. Unterwegs sehen wir eine Tarantel. Zu unserem Erstaunen stellen wir fest, dass dies das erste größere Insekt ist, das wir zu Gesicht bekommen. Überhaupt haben wir nur wenige Tiere entdeckt. Zu sehr haftet unser Blick im Dschungel am Boden. Am nächsten Checkpoint liegt Joey mit Schüttelfrost und Fieber am Boden. Die Krankenschwestern haben ihn mit Plastikfolien zugedeckt und geben ihm immer wieder zu trinken. Ich bin mir sicher, dass dies sein letzter Tag in diesem Rennen ist. Nach einer kurzen Pause verlasse ich mit den Briten den Checkpoint. Kurz vor uns befindet sich eine Gruppe von Brasilianern. Die letzten 7 km werden für mich zur Qual. Ich rede mir ein, ich würde es durch den Dschungel nicht schaffen. Die Wahrheit ist: Ich würde mir wahrscheinlich vor Angst in die Hosen machen! Nach insgesamt 18 Stunden erreiche ich mit meinen Weggefährten den letzten Checkpoint um Mitternacht. Die Brasilianer beschließen, in den Urwald zu gehen. Eberhard geht mit. Hoffentlich geht das gut. Ich dagegen kann nicht mehr. Erschöpft wickle ich mich in meine Notfalldecke und schlafe sofort ein.

Tag 9

Um 6 Uhr breche ich mit den Briten auf. Ich fühle mich wieder topfit. Kurz hinter uns kommt Joey, der tatsächlich weitermacht. Nach einer Stunde setze ich meinen Schlussspurt an und erreiche nach weiteren 60 Minuten das Etappenziel. Eberhard und die Brasilianer haben es nachts für die gleiche Distanz 5 Stunden gebraucht - und wurden dabei 2 Stunden von einem Jaguar verfolgt... Ich erschrecke, als ich Kym, einen Teilnehmer aus Neuseeland, sehe. Seine Füße sind seit der zweiten Etappe in einem furchtbaren Zustand, doch er schleppt sich nach 31 Stunden ans Ziel dieser langen Strecke. Aufgrund starker Strömungen wird die Fluss-Durchquerung am nächsten Tag abgesagt. Stattdessen werden wir per Boot zum ersten Checkpoint gebracht.

Tag 10

Heute will ich ans Limit gehen und versuche, einen Großteil der Strecke zu laufen. Zu unserer Erheiterung läuft der Führende, Karim Mosta, an diesem Morgen in seinem Eifer gleich am Start in den Hof eines Bauern, anstatt auf der Strecke zu bleiben. Ich dagegen bin gut unterwegs. An einem Feld allerdings, wo die roten Markierungen fehlen, entscheide ich falsch und verliere 15 Minuten. Wir überqueren zahlreiche offene Flächen und Plantagenwege. Die letzten Kilometer laufe und gehe ich abwechselnd aufgrund der erbarmungslosen Sonne. Besonders spannend ist ein Ameisenteppich wenige Kilometer vor dem Ziel. Noch nie habe ich so viele Insekten auf einem Fleck gesehen. Vor mir liegen 50 Meter Boden, die Beine zu haben scheinen. Dann ist er da: Der große Zieleinlauf. Das ganze Dorf ist zusammen gekommen. Alles, was tanzen und feiern kann, ist da, um uns zu begrüßen. Nach 42 Stunden, 58 Minuten und 28 Sekunden Laufen, Gehen, Stolpern, Springen und Kriechen ist es geschafft - ich werde 16. Auch Eberhard (6.) und Joey (19.) kommen gesund ans Ziel. Die Zeit des Siegers, Karim Mosta, beträgt unglaubliche 28:24:17 Std. - eine Klasse für sich.

An diesem Nachmittag spielen sich viele emotionale Szenen ab. Lucemir zum Beispiel, ein brasilianischer Teilnehmer, plagen seit mehreren Tagen Knieprobleme. Völlig erschöpft bricht er hinter der Ziellinie zusammen. Carlos, ebenfalls Brasilianer, eilt herbei und trägt ihn ins Medizinzelt. Und keine 5 Minuten später grinst Lucemir schon wieder... Es sind diese Momente, die ein solches Abenteuer unvergesslich machen. Vergessen sind der Unmut über Streckenkürzungen und falsche Checkpointdistanzen. Im Bus geht es später zurück ins Hotel "Tropical" in Manaus. Luxus.

Tag 11 und Fazit

Viele Teilnehmer fahren noch für zwei Tage nach Rio. Ich dagegen kehre direkt zurück nach München, um mich ins nächste Abenteuer zu stürzen: das Oktoberfest!

Der Dschungel-Marathon ist sicher eines der gefährlichsten Ultrarennen. Wer teilnimmt, muss sich über die Risiken im Klaren sein. Doch können diese minimiert werden, wenn man sich an ein brasilianische Sprichwort hält, das da lautet: "Der Dschungel ist für die Geduldigen, nicht für die Mutigen."


© Robert Pollhammer , 9. Januar 2004
info@thegreatoutdoors.de

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