Tritt ein, bring Glück herein

Stop, leider geschlassen!

 

Bericht An der ehemaligen Staatsgrenze - Der Einheitslauf - Ultramarathon beim Steppenhahn (10.2004)
Elisabeth Herms-Lübbe , 4. Okober 2004

An der ehemaligen Staatsgrenze - Der Einheitslauf

Mit einem Lauf der deutschen Einheit zu gedenken ist eine gute Idee. Ich habe nicht gezögert mich anzumelden. Während des Laufens kann man sich besinnen, wie es vorher war und wie es heute ist.

Der Start ist in Mühlhausen in Thüringen, dann geht es über allerlei Berge Richtung Grenze, über ehemalige Grenzeinrichtungen und über andere Berge wieder zurück.

Auf meiner etwas älteren Landkarte steht noch ?Thomas-Müntzer-Stadt Mühlhausen?. Nun heißt sie nur noch Mühlhausen. ?Lutherstadt Wittenberg? hingegen ist geblieben. Was ist mit Thomas Müntzer geschehen? Ist er in Ungnade gefallen? Er hat die Vorstellung vom Himmel auf Erden gepredigt, den es für alle Menschen zu schaffen gelte. Damit begeisterte er Mühlhäuser Bürger und Bauern des Umlandes, die allesamt unter der Obrigkeit litten. Lebte er heute in einem mit Deutschland im Jahr 1525 vergleichbaren Land, würde er noch immer einen Freiheitshelden abgeben. Hat es in der DDR zu viel staatlich verordnete Verehrung gegeben? Wer in der BRD aufgewachsen und protestantisch erzogen worden ist, hat es anders gelernt: Martin Luther gut, Thomas Müntzer bedenklich. Daher bin ich jetzt verwundert und eine Spur enttäuscht, dass im umfangreichen Touristenprospekt von Mühlhausen, den alle Starter in ihrem gut gefüllten Beutel haben, er nur mit einem einzigen belanglosen Satz erwähnt wird.

Der Start des Marathons ist 2. Oktober um 11.00 Uhr. 182 Läufer dazu sind am Start. Vorher genießen wir die geräumigen Umkleideräume im neuen Sportzentrum mit exquisiten Wasserhähnen. Wie sich doch alles geändert hat: Meine heimatliche nordhessische Turnhalle riecht verschimmelt und hat Regenwasserflecken an der Decke, die man immer sieht, wenn man auf dem Boden zum Bauchmuskeltraining liegt, zu dem unsere Laufgemeinschaft uns glücklicherweise regelmäßig auffordert.

Auf der zunächst leicht ansteigenden Strecke gibt es zunächst Stadtrand, Stadtwald und Buchenwälder. Die Wege haben häufig einen Belag, aus dem grobe Steine herausragen. Solche Wege können nur Leute bauen, die alle Strecken mit dem Auto zurücklegen. Zu Fuß und noch mehr mit dem Fahrrad sind sie eine Plage, Tourismus-Verhinderungs-Wege sozusagen. Wenn ein Naturweg holprig oder schmierig ist, ist das anders. Solcher kommt dann auch beim Anstieg auf die Höhe oberhalb von Treffurt. Der Abhang zum Werratal ist fast alpin. Lange Rutschspuren zeigen, dass einige Läufer hingefallen sind. Dann kommen Betonplattenplatten, Bestandteile der ehemaligen Grenzbefestigung, regennass, halb überwachsen und voll von Algen, besonders bergab ein schwieriger Untergrund.

Auf der anderen Seite der Werra sind wir früher manchmal mit Besuch gewesen und haben die Grenze als touristische Attraktion vorgeführt. Ansonsten hatte sie nichts mit unserem täglichen Leben zu tun, wir haben es beschaulich und gut in Nordhessen gehabt, sie hat eigentlich gar nicht sehr gestört, war einfach da, da war unser Land zu Ende, als ob ein uninteressantes Meer angefangen hätte. Hätte man mir damals gesagt, dass ich eines Tages dort in den Grenzanlagen mich im Marathon versuchen würde, hätte ich das zweifach absurd gefunden.

Bei Treffurt denke ich immer an die bewegende Reportage im Hessischen Rundfunk ein oder zwei Tage nach dem Mauerfall, als frisch ein Loch in den Grenzbefestigung geschnitten worden war und Egon Bahr ? hatte er nicht Tränen in den Augen? ? hindurch schritt, um seinen Geburtsort zu besuchen. Er hatte sich vorher geschickt und unermüdlich um deutsch ? deutsche Angelegenheiten bemüht und war plötzlich an seinem Ziel. Politiker wie ihn gibt es heute nicht mehr. ?Einen Mann wie Egon Bahr? wünschte sich in einer Heiratsanzeige vor 20 Jahren eine Frau. Hätte ich nicht sofort gedacht, guter Wunsch, würde ich mich jetzt nicht mehr daran erinnern. Zielstrebig, integer, einfühlsam, als Ehemann sicherlich geeigneter als Thomas Müntzer, der als Anführer im Bauernkrieg nach blutiger Niederlage unter der Folter starb, worauf seine hochschwangere Frau Mühlhausen verließ.

Unterwegs auf der Strecke erfahre ich von meiner Freundin, die mich betreute, dass der Marathon mehrere Kilometer länger ist als ein klassischer. Ich wundere mich. Warum hat das niemand vorher gesagt? Im Ziel geht dann das Raten los, wie lang denn die Strecke nun wirklich war. 45 Kilometer steht auf der Urkunde. Es geht auch das Gerücht um, dass Radfahrer und ein Motorradfahrer die Strecke mit 48 und gar 49 Kilometern abgefahren seien.

Es war ein schöner Tag mit kleinen Einschränkungen. Die Strecke war länger und schwieriger, als man vorher vermuten konnte. Da ist sie vielleicht mit der Harzquerung zu vergleichen, auch wenn es große optische Unterschiede gibt. Das ist gut und findet auch viele Liebhaber, nur sollten sie vorher die Umstände kennen.

Die Betreuung war personell luxuriös, auf jeden Läufer kam ungefähr ein Betreuer. Auch die Verpflegung hätte für mehr Teilnehmer gereicht. Hoffentlich kommen im nächsten Jahr mehr Leute.


© Elisabeth Herms-Lübbe, 4. Okober 2004

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