Franks erster Ultra

Ich kann nicht ganz normal sein. Das bestätigen mir auch fast alle, die mich kennen. Laufe seit 1 1/2 Jahren halbwegs regelmäßig, bin vor vier Wochen in Köln meinen ersten Marathon gelaufen und jetzt Ultra! Na ja, wenigstens muß ich mir nicht so aufbauende Sprüche anhören, wie: "Das schaffst Du nie", oder "Glaubst Du wirklich, daß Du auch ankommst?"

Jetzt stehe ich also auf dem Gelände des Bergwerks Prosper-Haniel in Bottrop. (http://www.adler-langlauf.de/) Ich schaue mich um. Bekannte Gesichter? Fehlanzeige, ist halt 'ne neue Szene für mich. Fast habe ich den Eindruck, die meisten anderen kennen sich. Na ja, beim Laufen kommt man sowieso ans Quatschen.

Gedanken im Hintergrund: Habe ich auch nichts vergessen? Pulsmesser? Eigenverpflegung als Reserve? Genug Vaseline? Sind die Schuhe auch nicht zu fest geschnürt? Oder zu locker? Hast Du das wirklich vor? Quatsch, weg mit dem letzten Gedanken, das ziehe ich jetzt durch -- Punkt.

Da endlich ein bekanntes Gesicht. So sieht Stephan also in natura aus. Bisher habe ich nur Fotos auf seiner Seite gesehen. Also nicht so feige, sprich ihn mal an. Als wir uns unterhalten, steht plötzlich noch jemand vor mir. Ich denke gerade noch, das Gesicht kommt mir bekannt vor, da sagt er auch schon: "Wir kennen uns auch irgendwoher." Ja klar, Jürgen, den habe ich ja schon Jahre nicht gesehen. Da ist er auch schon wieder weg, weil er nur die 25 laufen will.

Ein paar ziellose Gedanken gehen mir noch durch den Kopf, da höre ich auch schon einen Knall. Blick nach vorne, ups, das war ja der Startschuß. Viele andere schauen auch so überrascht und wir laufen langsam los.

Adler von Bottrop Der erste Kilometer, Tempo finden. Ich will die erste Runde mit ca. 6 Minuten pro km laufen. Da ist die erste Marke. 5:45. Na das paßt ja fast, ruhig noch etwas langsamer. Um mich herum höre ich Gesprächsfetzen. Sie: "Interessierst Du Dich auch für den Trans Europa Lauf?" Er: "Ich habe mich schon angemeldet." -- Ich glaube es kaum, mit was für Granaten darf ich hier zusammen laufen!! Mit ihr, Else, komme ich kurz danach ins Gespräch. Wir unterhalten uns super übers Laufen und speziell über Ultras. Else überlegt auch, ob sie sich für den Europa Lauf anmelden soll. Bis dahin ist sie schließlich 66 (Sorry, ich weiß, über das Alter einer Frau soll man nicht reden. Aber ich bin immer noch so beeindruckt!!) Sie erzählt mir über die DUV und verspricht mir ein Exemplar der DUV-Zeitung. Bei Kilometer 5 bin ich Ihr dann zu langsam und sie zieht davon. Ich denke nur noch, in dem Alter will ich auch noch so laufen können, faszinierend.

Kurz danach zwei Frauen gleichauf mit mir. Wir haben das gleiche Tempo und können uns dabei gut unterhalten. Die Zeit und die Kilometer fliegen nur so dahin. Bald überholen wir auch Else. Ich bin immer noch beeindruckt. Eine meiner beiden Mitläuferinnen bleibt bald zurück, mit Brigitte laufe ich dann den Rest der ersten Runde. Wir quatschen über alles mögliche von Laufen bis Urlaub. So macht laufen Spaß. Zwischenzeit bei km 25: ca. 2:32. Das läuft ja besser als geplant. Vor lauter Übermut bin ich dann so blöde und laufe am Ziel vorbei. Na ja, laufe ich die 25 km halt noch mal. Das erste mal war ja auch nicht schlimm.

Kurz nach der Wendemarke setzt sich Brigitte dann den Walkman auf und gibt Gas. Oder werde ich etwa langsamer? Kann schon sein. Ich müßte mal auf meine Zwischenzeit achten. Aber es ist gerade keine Kilometermarke in Sicht, also genieße ich die Natur. Noch kommen mir viele gequälte 25er und sogar auch einige 50er entgegen, ich bin also nicht der letzte. Bald trennt sich die Strecke wieder und jetzt wird es richtig einsam. Hin und wieder mal ein Streckenposten und ein paar Spaziergänger, die uns Läufer aber völlig ignorieren. Sonst nur Bäume, ein paar Äcker und Wiesen, und natürlich der Weg. Ja der Weg, jetzt weiß ich, was "befestigter Wirtschaftsweg" bedeutet. Ich spüre langsam jeden Stein durch die Schuhe. Stand in der Beschreibung nicht auch was von einem "leicht welligen" Rundkurs? Wie schaffen die es nur, in 2 1/2 Stunden die Hügel viel höher zu machen? Oder sind das die ersten Anzeichen von Müdigkeit?

Die Läufer vor mir sehe ich nur, wenn mal eine längere Gerade ist. Hinter mir niemand. Weit entfernt höre ich ein Jubeln. Nanu, was ist das? Dann wieder Stille. Etwas später nochmal die Jubelschreie. Dieses mal etwas lauter. Inzwischen sehe ich auch mal wieder einen Läufer vor mir. Er läuft auf einen Verpflegungsstand zu, die Betreuer bauen sich auf und jubeln. Sowas habe ich noch nie gesehen. Ob die das für mich auch machen? Ich komme näher, die Leute nehmen Position auf, einer gibt das Startzeichen und die 5 Betreuuer machen einen Wahnsinnslärm! Einfach klasse! (An dieser Stelle noch mal herzlichen Dank dafür an die Leute von km 35!!!) Das gibt mehr Kraft als alle Cola und Bananen. Kurz danach schaffe ich es auch, drei Teilnehmer zu überholen. Für die anderen wird es also auch langsam hart.

Zwischendurch mal wieder ein Blick auf die Pulsuhr. Ups, fünf Schläge niedriger als geplant. So geht das aber nicht. Also los, Beine, lauft schneller! Klappt so halbwegs. So laufe ich eine Zeit dahin, mal wieder keiner vor mir, keiner hinter mir. Zwischendurch frage ich mich manchmal, ob ich noch auf dem richtigen Weg bin. Dann kommt aber immer mal wider eine Wegmarkierung oder eine Kilometermarke.

Zwischenzeiten habe ich schon völlig abgehakt. Ich versuche, eine Endzeit abzuschätzen. Die 5:30, die ich mir vorgenommen habe, werde ich wohl schaffen. Vielleicht sogar die 5:15, auf die ich gehofft habe. Na mal sehen, zu welchen Leistungen ich meine Beine noch überreden kann.

Dann der nächste Verpflegungsstand bei km 40. Kurz vor dem Marathon. Ich bleibe kurz stehen, stürze mir einen Becher Cola runter (zu kalt), schlinge zwei Bananenstücke hinterher, greife noch einen Becher Cola, gehe wieder los und trinke auch diesen viel zu schnell aus (immer noch zu kalt). Dann versuche ich loszulaufen. Die Cola sprudelt in meinem Magen, bläht diesen auf. Sind das Schmerzen! Ich gehe wieder. Der Magen schmerzt immer noch. Ich warte was passiert. Nach ca. 100 Metern endlich das erlösende Bäuerchen -- das tut gut! Und gleich noch ein paar hinterher. Jetzt gehts wieder. Dann kann ich mich ja wieder auf die Beine konzentrieren. Die melden sich auch gleich wieder. Das Gehen war fast schlimmer als das Laufen. Nach ein paar Schritten geben die Beine jegliches Klagen auf --- vorübergehend. So geht es dann weiter bis km 42. Kurz danach der Marathon Punkt. Zeit: 4:22. Das ist ja 3 1/2 Minuten besser als in Köln. Ich gratuliere mir selbst. Die Beine jammern, daß es genug ist. Ich versuche sie zu beruhigen, es sind doch keine 8 km mehr. Sie glauben mir nicht. Kurz nach dem Marathon Punkt kommt mir mein Schwager auf dem Rad entgegen. Schön, endlich wieder etwas Unterhaltung. Das lenkt ein wenig vom sinnlosen Geschrei meiner Beine ab.

Dann der letzte Verpflegungspunkt. Dieses mal trinke ich vorsichtiger, kann dann auch sofort wieder weiterlaufen -- wenn man vom permanenten Gejammer von unten mal absieht.

Ich denke mit Grauen an die Brücke 1,5 km vor dem Ziel. Da geht es noch mal einen riesigen Berg hoch. Auf dem Weg nach oben kann ich sogar noch mal überholen. Nach der Brücke plötzlich eine Stimme von hinten: "Du wirst doch wohl jetzt nicht noch schneller weden!" Ich drehe mich kurz um, eine Frau läuft hinter mir her. Sie holt langsam auf und sagt: "Ich laufe schon die letzten 15 km hinter Dir her." Dann läuft sie neben mir her. Für eine Unterhaltung haben wir beide nicht die Energie. Ich frage sie, ob sie jetzt etwa noch einen Endspurt hinlegen will. Sie verneint. Ein paar hundert Meter vor dem Ziel beschleunigt sie trotzdem. Ich halte mit und denke nur das ist unfair, 15 km läßt sie sich von mir ziehen und jetzt will sie mich noch abhängen. Wir biegen zusammen um die letzte Ecke (ich natürlich außen) und sind auf der Zielgeraden. Sie wird immer schneller -- ich auch. Ich kann gerade noch meine Familie wahrnehmen, die direkt vor dem Ziel auf mich wartet, da "sprinten" wir schon gemeinsam ins Ziel. Wie immer, vergesse ich, meine Uhr zu stoppen, und so erfahre ich erst aus meiner Urkunde, daß ich den Lauf nach 5 Stunden 14 Minuten und 20 Sekunden beendet habe. (Das reicht immerhin für den 14ten Platz in meiner Altersklasse -- OK, von 14 Teilnehmern in dieser Klasse, aber das ist nebensächlich!)

Ich bin überglücklich und schleppe mich zum allerletzten Verpflegungsstand. Stephan steht auch noch im Zielbereich rum und ich frage ihn, wie lange er schon da ist. Er sagt, so eine Minute. An der Wende hatte er noch fast eine viertel Stunde Vorsprung. Wenn ich bedenke, wie ich mich auf der zweiten Runde gequält habe, dann muß er ja durch die Hölle gelaufen sein. Später bestätigt er mir auch, daß sein Einbruch schon bei km 20 kam.

Dann gleich der nächste Tiefpunkt. Ich habe mich den ganzen Morgen schon auf die angepriesene "Lecker Erbsensuppe" gefreut. Da kommt meine Frau auf mich zu und erzählt mir (natürlich erst nach der herzlichen Gratulation), es gibt schon seit über einer Stunde keine Suppe mehr und alle Arten von Würstchen sind auch schon weg, sie und die anderen haben auch schon einen riesen Kohldampf. Dann eben Kuchen, wir gehen rein, ich hole noch mein Finisher Shirt (mein allererstes echtes Finisher Shirt) und dann ganz nach hinten zum Kuchen.

Wenn er denn da wäre! Alles schon leergefuttert.

Was tun? Laufen macht hungrig. Zum Glück fährt Claudia zur nächsten Pommesbude und holt da was. In der Zwischenzeit schleppe ich mich zur Dusche. Die Hälfte der Duschen sind frei, das Wasser ist heiß, ich will am liebsten gar nicht mehr da weg. Wenn da nicht das Essen wäre. Also wieder raus aus der Dusche, anziehen. Als ich draußen warte, kommt Else auf mich zu und schenkt mir das versprochene DUV-Heft. Stephan hat Recht, Ultra-Läufer sind ganz besonders nette Leute. (An dieser Stelle nochmal ein Dank an Else und ich drücke die Daumen, daß es auch mit dem Trans Europa Lauf klappt).

Auf dem Rückweg stiftet mich Stephan noch an einen kleinen Bericht über alle Höhen und Tiefen meines ersten Ultras zu schreiben, was hiermit geschehen ist. Jetzt kann ich endlich auch meinen mentalen Filter einschalten (siehe Verenas Bericht) und alle schlechten Erinnerungen mit dem großen Festplatten-Waschlappen löschen.

...

Der Lauf war einfach nur schön, ich hatte gar keine Probleme, ich bin super durchgekommen und von einem Runners High zum nächsten gelaufen! Wo wartet der nächste Lauf auf mich?!?!?!?!?


© Frank Hildebrand, November 2001
wat4640@epost.de

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