Zufälliges Zitat

"Man muss das Unmögliche so lange anschauen, bis es eine leichte Angelegenheit wird. Das Wunder ist eine Frage des Trainings."

Albert Einstein

Nächster Ultramarathon

Alle zeigen - Bericht von Norbert Madry zum Troisdorfer 6h-Lauf:
Norbert Madry , 15.11.2005

Back in the USSR (Ultra-Sport-Szene Reloaded)


Dies ist kein Bericht über Troisdorf, Strecke und Organisation – das wurde von anderen schon sehr kompetent beschrieben. Sondern vielmehr Troisdorf 2006 als mein Wiedereinstieg in die aktive Ultralaufgemeinde. Auf die Gefahr, dass das ausser mir sonst niemand interessiert, hier mein Bericht:

Objektiv gesehen war meine Leistung nicht glorios – und subjektiv hatte ich mir in optimistischen Phasen (sogar des Rennens) mehr als 70 km zugetraut, aber das war ja ein Anreiz: was könnte ich nach praktisch 7 ½ Jahren Ultra-Abstinenz schaffen?

Eigentlich sollte ja der 6-h-Lauf Anfang Oktober in Köln der grosse Lauf des Jahres für mich werden. Dahin hatte ich mich seit August recht gezielt vorbereitet, orientiert an Stefan Weigelts 6-h-Programm von der DUV-Internetseite. Den Münster-Marathon hatte ich dieses Jahr als Testrennen umfunktioniert (1. Hälfte im vermuteten 6-h-Renntempo, 2. Hälfte leicht schneller) und auch tatsächlich in diesem Sinne umgesetzt. Mein Firmenkollege Georg Weiss alias readyforextremes, der mich im Frühjahr überhaupt wieder auf die Idee gebracht hat, mal wieder Ultra zu laufen (danke, Georg, steht schon im goldenen Buch), hatte mich daraufhin auf mindestens 70 km taxiert. Innerlich gab ich ihm recht. Mit anderen Worten: ich fühlte mich fit und heiss auf Köln. In Köln fühlte ich mich dann aber etwas zu heiss: fiebrige Erkältung, daher erst gar nicht angetreten. Aber dageblieben und den anderen zugeschaut: Ultrarennen auf kurzen Runden sind für Zuschauer äusserst interessant und für mich als Fast-Starter waren sowohl der 12-h-Lauf als auch der 6-h-Bambini, oder besser alle Läuferinnen und Läufer, faszinierend und unbedingt motivierend, die Ultra-Flinte für dieses Jahr noch nicht ins Korn zu werfen.

Also flugs auf Troisdorf umdisponiert. Trainingstechnisch konnte ich hierfür kein Idealprogramm mehr durchziehen, aber in Köln hatte ich ja keine Körner verschossen und mit einem Testrennen (33-km Hochsauerland-Grenzlandlauf) sowie einer schnellen 25-km-Einheit beim Bottroper Herbstwaldlauf hoffte ich, die Form bis Mitte November rüberretten zu können.

Naja, in den ersten 16 Runden in Troisdorf fühlte ich mich auch überraschend gut. Aaahh, wieder das wunderbare entspannte Gefühl der Ultrarennen. Locker dahingleiten, plauschen, keine Hektik, auch nicht an der Verpflegungsstation – einfach wunderbar (jedenfalls die gefühlte erste Hälfte…).

Unmittelbar vor dem Start hatte ich Harry Arndt angesprochen, der für viele völlig unerwartet unter den Aktiven war. Für mich ist Harry die wichtigste Person im deutschen Ultralauf, auch als hervorragender Läufer, aber noch mehr als Veranstalter und Funktionär. Meinen ersten Hunderter bin ich 1987 in Rodenbach gelaufen, und Harrys warme Worte während/nach der Siegerehrung haben noch lange positiv nachgewirkt. Wie viele Gespräche in Troisdorf war auch unseres von den Ereignissen um die DUV-Mitgliederversammlung überlagert, und der Startschuss platzte mitten in unsere Unterhaltung. Kein Problem, die ersten Runden waren sowieso zum Einlaufen und Kennenlernen der Runde geplant. Bis auf 700 m Deichkrone („klasse Aussicht…“), die dieses Jahr wohl teilweise vom Regen aufgeweicht waren, ein völlig problemloser Parcours auf Asphalt durch ein Randwohngebiet plus jeweils ein kurzer Abstecher auf die Tartanbahn des Aggerstadions nebst Wendepunkt und Champion Chip-Matten.

So konnte ich mich meinen Mitläufern widmen. Ich begegnete auf und an der Strecke etlichen Bekannten aus der aktiven Vergangenheit sowie vielen Leuten, die ich erst seit ein paar Monaten via Internet (Steppenhahn!) oder aber vom Kölner 12/6er her „kannte“. War prima, sie alle leibhaftig und im gleichen Rennen mit mir zu erleben.

Sehr gut fand ich, dass Dietmar Knies als „frisch gebackener“ Ex-Pressewart der DUV immer wieder an der Strecke und manchmal sogar auf der Strecke joggend zu sehen war. Andre Dreilich, seinen Nachfolger, habe ich dann auf einer gemeinsamen Runde kennengelernt. Absolut klasse und in der Schlussphase sehr aufbauend war Helmut Urbach, der als Zuschauer auch etliche Runden entgegen dem Läuferstrom absolviert hat. „Dieses Gesicht hinter dem mächtigen Schnauzbart kennst Du doch“ war mein erster Impuls und ein paar Runden weiter hab ich einfach mal nachgefragt „Bist Du nicht der Helmut?“ Helmut Urbach war für mich vor 20 Jahren als mehrfacher Sieger von Biel so etwas wie eine Überfigur im Ultrabereich gewesen. Und nun – looking younger than ever – war er zunächst in Zivil, später auch in Trainingsmontur in Troisdorf an der Strecke und feuerte uns lässig aber kenntnisreich an!

Überhaupt – schon bemerkenswerte Unterschiede und Gemeinsamkeiten in der Ultraszene vor sagen wir mal 15 Jahren und heute. Dank Internet weiss man über wo, wie und wer schon ne ganze Menge vorab. Trotz Internet-Foren ist Ultralaufen dennoch immer noch die kommunikativste Sportart – bereits während des Wettkampfs wird über Gott und die Welt palavert, was das Zeug hält. Und nachher erst…Andererseits habe ich das Gefühl, als ob im Zeitalter der Energiedrinks, -riegel und –gels die Läuferschar im Durchschnitt etwas langsamer wird. Oder nur wir Männer… Auf jeden Fall trauen sich mehr Läuferinnen auf die Ultrastrecken als früher und bringen dort auch in der Spitze eine bessere Leistungsdichte. Naja, gelaufen werden muss wie eh und je. Auch wenn die Outfits einen Zacken bunter und mehr Läufer/-innen mit irgendwelcher Privatberieselung verstöpselt sind als dunnemals, der Bewegungsablauf und die verschiedenen Varianten von energieschonender aktiver humaner Vorwärtsbewegung kamen mir doch sehr bekannt vor.

Ich fühlte mich klasse und unmittelbar wieder „drin“.

Je nach Laufbegleitung lief ich die Runden mal langsamer, mal schneller. Vielleicht (bestimmt!!!) einige zu schnell – hätte besser nicht so lang mit Marion Braun laufen sollen, die sich mit den Worten „jetzt hab ich meinen Diesel angeworfen“ nach gut zwei Stunden nach vorne orientierte. Ich wollte ja nur „mein Tempo“ laufen und dachte bis 40 km auch, es ganz gut getroffen zu haben. Pustekuchen!!!

Spätestens in Troisdorf wurde mir wieder ins Gedächtnis geätzt, warum der Ultramarathon so heisst: es geht halt über die normale Marathondistanz hinaus. Einfach, klar und manchmal brutal: nach 45 km war ich platt, mit einem Schlag war ein 5er-Schnitt nicht mehr drin. Weiter war ich nun mal in den letzten Jahren wettkampfmässig nicht mehr gelaufen. Wat nu?

Glücklicherweise hatte ich neben den Trainingskilometern auch mentale Meter gemacht: nicht nur die früheren Erfolge, sondern auch die dunklen Stunden des Ultralaufens hab ich tief aus der Kiste gekramt - und darüber sinniert. Und daher wusste ich noch, was mir in einem solchen Zustand hilft bzw. was für mich besser ist als „den Schnitt so lange wie möglich zu halten“: Standort neu bestimmen und ein konkretes, der Situation angemessenes Ziel setzen.

Nicht umsonst hatte ich mir einen 6-h-Lauf und keinen 100er ausgesucht: erstens würde ich auf jeden Fall finishen, und zweitens wüsste ich zu allen Zeiten auf die Sekunde genau, wie lange ich noch unterwegs sein würde. Also erst mal antesten, welches Tempo mir jetzt noch für die verbleibenden gut zwei Stunden durchhaltbar erschien. Zweiter Selbstcheck: Kopfrechnen klappte auch noch leidlich – also auf 70 km könnte es hinauslaufen. Das Kopfrechnen klappte ehrlich gesagt besser als das Laufen bzw. fiel mir deutlich leichter. Aber hier waren nun die erwarteten schweren letzten zwei Stunden. Bei 50 km noch mal ein frisches Hemd und dann stur bzw. mit nur noch knappen Kommentaren an meine Leidensgenossen in die letzten 111 Minuten. Helmut Urbachs kurze Zurufe waren jetzt soooo hilfreich auf jeder einzelnen Runde.

In der letzten Viertelstunde hatte ich eine gute Minute Puffer auf die angestrebten 70 km. Also artig aber erfolgsgewiss von den zahlreichen freundlichen Streckenposten verabschiedet. Shakal Ryan, mit dem ich anfangs auch ne Runde gedreht hatte, versuchte mich noch mit „Jeder Meter zählt, komm“ zum Endspurt zu verleiten; aber danke, ich war gedanklich schon beim Apres - also noch kurz vorm Stadion meinen Beutel mit Ersatzbekleidung und Notversorgung aufgeklaubt, über die Matten bei den Worten „Letzte Minute!“ des nimmermüden Stadionsprechers (kann der nicht auch mal ne tiefe Sprechkrise kriegen???) und noch exakt bis zum Eingang zu den Duschen – macht haargenau 70 km und ein bisschen.

Zufrieden? Ja und nochmals ja – ich wusste ja vorher nicht, was bei mir im Ultra überhaupt noch geht. Jetzt weiss ich: es geht noch was; und ich weiss es schon etwas genauer. Und wie Wolfgang Schwerk - auch jemand von dunnemals, aber immer noch in einer ganz anderen Leistungskategorie - unter der Dusche sagte: Illusionen, auf den Stand der vor 15 oder 20 Jahren erzielten Leistungen zu kommen, sollte man von vornherein ad acta legen. Diese mentale Übung war mir ganz gut gelungen, obwohl ich zwischendurch mit 2 km mehr geliebäugelt hatte. Wenn nicht wieder 7 oder 8 Jahre vergehen, werde ich beim nächsten Ultra das Tempo wieder etwas besser anschlagen und halten. Hab ich jedenfalls fest vor…Und möglicherweise ist diese Leistung von Troisdorf 2005 die einzige PB, die ich in meinem Leben noch verbessern kann!

© Norbert Madry, 15.11.2005

Weitere Info's und Berichte zum Lauf:


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