Alle zeigen - Bericht von Rudolf Mahlburg zum Deutschlandlauf:
Rudolf Mahlburg , 24.10.2006

Die Grenze ist der Ort der Erfahung -kehre ich um oder will ich Neues erfahren?



oder auch

Deutschlandlauf – „was ist normal??“

Was ist dran an diesem Gedanken, was bedeutet es, neugierig auf neue Erfahrung zu sein?? Das Leben bietet uns unzählige Gelegenheiten immer wieder Neues zu erfahren, immer wieder einen Schritt in Richtung Selbstentwicklung zu tun.
Meine Freude an der Bewegung verbindet mich eng mit dem Laufsport und so liegt es nahe, den Horizont im Rahmen meiner Freizeitaktivitäten zu verschieben. Was vor 12 Jahren als Fitnessjog begann stieß zu jener Zeit schnell an die besagten Grenzen. Täglich erfuhr ich Neues. Doch was heißt hier eigentlich „erfuhr“ – ich meine natürlich „erlief“ – , denn in erster Linie neu war für mich das Laufen. Positive und negative Aspekte dieser Fortbewegungsart führten bereits nach wenigen Wochen konsequenter Praktizierung zu einer eindeutigen „Schieflage“ der Argumente. Überzeugende Selbsterfahrung stellte das Laufen schnell in den Mittelpunkt meiner künftigen Freizeitgestaltung.

Das ich hier die ersten Schritte zum Deutschlandlauf tat, konnte ich damals noch nicht ahnen. Ich hätte auch jeden für verrückt erklärt, der mir eine solche Karriere prophezeit hätte.

Der lange Weg vom Kap Arkona nach Lörrach ließ mich auch in diesem Jahr immer wieder an die Zeit der Anfänge denken. Als jemand der mehr als 40 Jahre seines Lebens nicht einmal wusste, wie man das Wort „Sportschau“ schreibt, geschweige denn an aktiven Sport dachte, hatte ich mich mit meiner zweiten Teilnahme am Deutschlandlauf wieder einmal ein schönes Päckchen geschnürt. War ich denn wirklich von meiner Erstteilnahme noch nicht kuriert??? Was trieb mich denn dazu, die Strapazen noch einmal auf mich zu nehmen??? Fragen, die ich mir seit der Anmeldung im Februar des Jahres immer wieder stellte, wenn meine Gedanken beim Thema Deutschlandlauf hängen blieben.

Noch rechtzeitig vor dem Start fand ich dann glücklicherweise die Antwort und konnte mich mit dem was kommen sollte arrangieren.
Es war zum einen sicherlich die Neugierde – was wird geschehen, wenn ich die Herausforderung des Abenteuers Deutschlandlauf noch einmal annehme?? Gibt es einen Lerneffekt?? Hat sich der Körper die Strapazen gemerkt?? Wie wird er damit beim zweitenmal umgehen??
Zum anderen erleichterte die Möglichkeit einer partnerschaftlichen Zusammenarbeit mit Ingo die Entscheidung, dabei sein zu wollen. Als Initiator von laufendhelfen.de gab er mir eine Möglichkeit unsere zwischenzeitlich als gemeinnützig anerkannten Ziele zu verfolgen. Die Förderung des Ultralaufsports unter Einbeziehung sozialen Engagements zur Unterstützung behinderter Menschen, durften wir während der 17-tägigen (Tor)tour durch Deutschland vorleben. Wie im vergangenen Jahr waren es auch in diesem Jahr die Duchenne-Kinder, welche Unterstützung bekommen sollten. Dafür zu laufen, war ein Motivationsgrund, ein treibender Motor von der Anmeldung bis nach Lörrach.

Nach dem Motto – „die Geister die ich rief“ – war ich von nun an recht beschäftigt mit meiner selbst definierten Aufgabe. Es galt, gleichzeitig auf zwei Baustellen den „Bauleiter“ zu spielen und Verantwortung für geleistete Zusagen zu übernehmen. Wer mich kennt, wird mir sicherlich bestätigen, dass ich mich da schon ganz schön reinknien kann.
Da die Zeit zur Erfüllung sämtlicher Aufgaben konstant ist, musste eine Verschiebung in der Abarbeitung sonstiger lebensnotwendigen Dinge erfolgen. Dabei fallen der Familie und dem Lebenspartner zwangsläufig eine hohe Toleranzgrenze zu. Für das Verständnis und die Akzeptanz meiner abenteuerlichen und zeitaufwendigen Ideen bedanke ich mich an dieser Stelle ganz herzlich bei meiner Familie und im Besonderen bei Brigitte, meiner Frau. Auch sie ist vom Laufvirus befallen. Wir liefen schon zusammen in der Sahara, doch das Thema Deutschlandlauf kann sie zur Anmeldung als aktive Teilnehmerin nicht tangieren. „Zu viele Straßenkilometer im fließenden Verkehr“ hat sie während ihrer dreitägigen Betreuung in diesem Jahr erlebt.

Die Vorbereitung war also zweigeteilt. Die rein körperlich und mentale Stimulierung möglichst punktgenau auf den 11. September zum Start der „Verrückten“ verlief anfänglich nach Plan. Neben vielen Trainingskilometern „stampften“ wir eine neue, mehrtägige Laufveranstaltung aus dem Boden. Der über 320 km und 8 Tage dauernde Rheinsteig-Erlebnislauf diente als sanfte Trainingstour (wird auch in 2007 wieder angeboten). Ein Muskelfaserriss zog die Motivation im Mai kurzzeitig zum Nullpunkt, konnte aber nach gut verlaufenen 270 km in 7 Tagen entlang der Westweg-Route im Schwarzwald wieder aufgebaut werden. Der letzte ernsthafte Testlauf fand dann im August zusammen mit Reinhard, Ewald und Manfred, alles diesjährige DL-Teilnehmer, statt. Während 4 Tagen umliefen wir den Bodensee und hatten bei realen DL-Bedingungen am Ende unsere Laufschuhe um weitere 280 km strapaziert.

„Das sollte reichen“ – „Ist es vielleicht doch zu wenig??“ – „Im vergangen Jahr hatte ich durchschnittlich mehr trainiert“ – „Oh je, das wird was geben“ – von diesen Gedanken gequält, wachte ich in den Tagen vor dem Start immer häufiger auf, obwohl die Nächte zum Ende der Vorbereitungszeit immer kürzer wurden, weil der zweite Teil meiner übernommenen Aufgabe unbarmherzig seine Erledigung forderte.

Vollmundig hatte ich bei Ingo angedeutet, dass ich mich im Rahmen von laufendhelfen.de um die Betreuung der Teilnehmer während der Laufveranstaltung kümmern will. Vornehmlich war die Vermittlung von Massagen angedacht. Daneben kam uns die Erfahrung des vergangenen Jahres zu Gute und schnell war die Idee eines Einkaufsdienstes geboren. Das es dabei alleine nicht bleiben sollte, ergab sich im Verlauf der organisatorischen Arbeit, die ich in enger Zusammenarbeit mit dem Verein aktion benni & co e.V. verrichtete. Ingo, der die Wünsche der Läufer bestens kennt, gab seine Zustimmung und führte uns von nun an als „partnerschaftliches Dienstleistungsunternehmen mit sozialem Engagement“ neben seinem Unternehmen Deutschlandlauf. Dafür, an dieser Stelle, ein ganz herzliches Dankeschön an Ingo.

Die Leiden des vergangenen Jahres haben mich geprägt und fließen in die Vorbereitung mit ein. Die Suche nach zusätzlichen Massagemöglichkeiten endet in der Unterstützung durch elektrische Muskelstimulation durch die Leihgabe von Geräten des Hauses COMPEX.
Dicke Knöchel, shine splint, heiße Knie – allgemein, die Verhinderung und Linderung von Entzündungen, hervorgerufen durch Überlastung , befasste mich in besonderem Maße. Hier fand ich bei LiquidIce einen kompetenten Partner, der unsere Hilfsidee spontan unterstützte. Schließlich konnten wir in unserem Wander-Kiosk auf ein reichhaltiges Warensortiment verweisen, welches erfolgreich von mir getestet und für gut befunden war. Ingos Sponsor WRIGHTSOCK war neben OATSNACK, MegaMax und PowerBar ebenfalls dabei. Mein Freund Peter hatte sich schon frühzeitig bereiterklärt, den Verkaufsmanager für unseren Bauchladen zu spielen. Ein Angebot von unschätzbarem Wert, für das ich nicht genug danken kann.
Schon während der Reise von Nord nach Süd konnten wir die Teilnehmer auf die Bedeutung unserer Aktion hinweisen. Gerne wiederhole ich hier den Sinn und Zweck noch einmal, der auch nach dem Abschluss des Deutschlandlaufes noch Gültigkeit hat. Wir boten sämtliche Leistungen an, um den Reinerlös unserer Arbeit an muskelkranke Kinder zu spenden. Die Arbeit der Suche nach dem rettenden Medikament zur Heilung der bislang tödlich endenden Krankheit Duchenne Muskeldystrophie konnte schließlich mit mehr als 1500,- € und weiteren vermittelten, direkten Spenden unterstützt werden.
Im Rahmen unseres Online-Shops http://www.laufendhelfen.de/lh_de/online_shop/index.php werden wir künftig diese „Deutschland-geprüften“ Artikel anbieten um damit unserem Leitbild „laufend helfen“ im Sinne von „dauernd helfen“ zu folgen. Wir freuen uns über Euren Besuch sowie Euer Feedback was diese Form der Hilfe angeht.

Dann endlich war es soweit. Unsere Sponsoren hatten uns ausgerüstet mit einem Transporter (Autohaus BOOS, Baden-Baden), geziert mit professioneller Plakatierung (Dürr die Werbeprofis, Bühl) sowie unzähligen Dingen, die den Läufern in den nächsten Tagen Hilfe, Bequemlichkeit und Freude bringen sollten.

Ich hatte mit dem Startschuss meine Kräfte auf das Ziel im Süden Deutschlands zu richten und so trennten sich die Wege von Peter und mir. Von nun an, galt ich als Peter’s „Kunde“. Er konnte seine volle Kraft und Erfahrung aus seiner Hilfe während des DL2005 aktiv umsetzen und war allabendlich Anlaufstelle für viele Teilnehmer, die schnell merkten, dass sie ihre Nöte und Leiden mit der „guten Seele“ bestens besprechen konnten. Tagsüber fand Peter im Rahmen der langen Etappen einen festen Platz bei Ingos Versorgungsmannschaft. Unterstützt wurde er übrigens von einem mehrfach wechselnden Begleiterstab, der sich aus Mitgliedern des Vereins aktion benni & co e.V. rekrutierte. Diese aktive Teilnahme, sowie der mehrfache Besuch betroffener Kinder mit ihren Eltern unterstützte unsere Öffentlichkeitsarbeit für die Belange der Duchenne-Kinder in idealer Weise. Eine unkomplizierte Integration hinterließ bei Allen nicht nur gegenseitiges Verständnis, sondern auch Interesse an den Sorgen und Nöten.

Meine Eindrücke auf den ersten Kilometern waren geprägt von Unwohl sein. Eine Situation stellte sich ein, die mir in dieser Art eher fremd war. Ich fand nur schwer die Antwort auf die Frage nach meinem Wohlbefinden. Körperlich und lauftechnisch gab es nichts auszusetzen, doch mental hatte ich Probleme den lockeren Schritt einzuordnen. Zu sehr war ich offenbar von großen Schwierigkeiten ausgegangen, sodass mir meine unbeschwerte Laufweise einerseits Freude, doch anderseits auch Angst bereitete. Wollte ich nicht ständig zwischen diesen Zuständen schwanken, hatte ich mich zu entscheiden. Ich setzte zugegebenermaßen etwas auf Risiko und entschied mich für die Beibehaltung des mir nicht immer vertrauten leichten Laufens. „Es wird schon gut gehen“ – so meine Antwort an meine Frau und Peter, die beide ein zu hohes Anfangstempo bemängelten.
Die rückblickende Beurteilung der Situation gab mir dann glücklicherweise Recht. Voller Elan konnte ich jeden Morgen an den Start und freute mich unbändig, der Gruppe mit Warnweste und Stirnlampe verkehrstechnischen Schutz aus den ersten Reihen bieten zu können. Ein völlig neues Laufgefühl – hatte ich im vergangenen Jahr doch lediglich mit meinem Stöcken als Schlussläufer hinterherhinken können, lief ich in diesem Jahr den Problemen buchstäblich davon. Dabei ist mir durchaus eines überaus klar – hätte ich diese Situation bewusst herbeiführen wollen, wäre sicherlich etwas schief gegangen.
Konnte ich mich also tatsächlich an einem „problemlosen Wellness-Lauf“ erfreuen?? Diesen Eindruck möchte ich trotz meiner überwiegend guten Stimmung nicht erwecken. Was zwischen Start und Ziel der Tagesetappen ablief, war immer wieder vegleichbar mit der Topografie der Strecke. Hoch und Tief in ständigem Wechsel stellte die mentale Festigkeit immer wieder auf die Probe. Hier gereichte mir die Erfahrung des vergangenen Jahres dann doch zum Vorteil. Ich war geeicht und die Schmerzgrenze soweit hochgesetzt, dass ich in respektvollem Abstand von ihr unterwegs sein durfte.

Noch heute frage ich mich, wie dieser gravierende Unterschied zu erklären ist. Dazu fällt mir immer nur ein, dass es wohl eine Vielzahl von Einzeldingen sein muss, die mir die Freude am DL2006 bescherte. Neben der konsequenten Anwendung von Hilfsmitteln wie Kühlbinden, elektrischer Muskelstimulation, eiweißreicher Nahrungsergänzung fällt der mentalen Stärke eine nicht zu unterschätzende Rolle zu. Hatte mich die Zusage für die muskelkranken Kinder zu laufen, bereits im vergangenen Jahr motiviert und über so manches Loch gehoben, so war das Motto „gesunde Muskeln für kranke Muskeln“ in diesem Jahr natürlich eine Herausforderung, an den Erfolg zu glauben. Zugegeben, die Bewunderung von Teilnehmern, die mich auf meine Qualen des vergangenen Jahres ansprachen, wirkte bei mir positiv. Gerne und selbstverständlich stellte ich in Fällen von Tränen begleiteten Tiefs meine Erfahrung zur Aufmunterung gebeutelter Teilnehmer zur Verfügung. Eine Art der Hilfe die nachweislich nicht nur dem Hilfesuchenden, sondern auch dem Helfenden mehr als gut tut. Die Art und Weise der Hilfe ist dabei oftmals unterschiedlich. Manchmal ist es ein einfaches Zuhören, ein anderes Mal ein „penetrantes“ Zureden oder einfach nur ein Verweis auf die eigene Situation im vergangenen Jahr, die mit der Überschrift „Auch Männer dürfen weinen“ sicherlich hinreichend genau beschrieben ist.

Wie im Flug verging die Zeit, wobei ich nicht die 20-stündige Verbesserung im Vergleich zum letzten Jahr meine. Nein, es war die gefühlte Zeit, die keinesfalls einen Gegenwert von 17 Tagen aufweist. Dies und die Tatsache der gefühlten Leichtigkeit mit der ich zwischen Start und Ziel unterwegs sein durfte stimmen mich noch immer ungläubig. Schon wieder in den Rhythmus des Alltags eingetaucht, kann ich das Erlebte nur als „extrem“ und „grenzwertig“ einsortieren. Wie aber unterscheidet sich diese Einschätzung von der des vergangenen Jahres, welche mit den gleichen Attributen beschrieben wurde?
Die Antwort fällt mir als technisch orientiertem Mensch nicht schwer – ich finde den Unterschied im umgekehrten Vorzeichen.

Mit diesem Fazit zum DL2006 ist eine logische Folgerung verknüpft, welche Antwort auf die Frage – „was ist denn jetzt eigentlich normal??“ – geben soll.

„Liegt die Wahrheit wirklich zwischen DL2005 und DL2006??“

Meine bereits gebuchte Teilnahme am DL2007 soll es an den Tag bringen.

Bis dahin richte ich meinen Dank an Ingo und seine Crew, an alle Teilnehmer sowie alle Beteiligten des „Theaters“ Deutschlandlauf. Die 17 Tage haben mir einmal mehr gezeigt, wie wichtig es im Leben ist, sich aufeinander verlassen zu können, Hilfe zu geben und auch Hilfe zu empfangen.

Laufende Grüße aus Baden-Baden

R(du)olf


© Rudolf Mahlburg, 24.10.2006

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