Alle zeigen - Bericht von Elisabeth Herms-Lübbe zum 50 km des RLT Rodgau:
Elisabeth Herms-Lübbe , 02.02.2007

Alle lieben Rodgau

Alle lieben Rodgau

„Nur edle Menschen bringen Opfer für die Gemeinschaft“. So steht es an der Wand der Turnhalle in Rodgau-Dudenhofen, wo sich am Morgen des 27.01.2007 die Läufer für den 50-km-Lauf einfanden. Es gab einen freundlichen Empfang: Kaffee und Brote gegen eine Spende „solange, bis alles weg ist“. Es war voll in der Halle, und man hätte meinen können, es sei die Jahreshauptversammlung der deutschen Ultramarathonläufer. Alle lieben Rodgau, alle waren gekommen, na ja, fast alle.

„Wir haben es extra für euch schneien lassen!“ - Es ging auch ohne Mikrofon: „Ich war vor 30 Jahren bei der Bundeswehr!“ - „Wir sind stolz auf euch!“ Das ist doch mal eine Begrüßung. Umgekehrt können die Rodgauer auch stolz auf sich und ihre super Veranstaltung sein, auf ihren Edelmut und ihre Opferbereitschaft für die Ultramarathongemeinschaft. Das hat sich ausgezahlt.

Knapp 700 Leute wollten mitlaufen. Beim Start war es kalt, eine zarte Schneedecke überzog die Felder und den Wald, über Tag verschwand sie nicht. Auch das Eis auf den Pfützen blieb. Eigentlich gab es nur eine Eispfütze, die anderen waren frisch zugeschottert, und die kleinen Schottersteinchen krochen immer von oben in die Laufschuhe. Die 5-km-Runde war gegenüber den Vorjahren etwas verändert worden, ein neuer Start- und Zielpunkt, eine andere kleine Pendelstrecke, eine andere Laufrichtung. Die Strecke ist flach, unspektakulär und unaufdringlich, nicht schön, nicht hässlich, sachlich und irgendwie auf bescheidene Art heimelig. Weidenkätzchen setzten einen puschelig charmanten Akzent. Die Läufer erfüllen sie mit Leben. So ist es in Deutschland, möchte man zur Strecke bemerken, und das ist gar nicht so schlecht. Felder, ein Freizeitgelände, von weitem Straßen und Gewerbegebäude, und in den beiden Waldstücken waren viele umgekippte oder abgesplitterte Bäume. Auch in Rodgau hatte Sturmtief Kyrill gut eine Woche zuvor kräftig zugepackt. Das wunderte mich, denn in jener Sturmnacht war ich in der Gegend mit dem Zug unterwegs. Trotz dramatischer Ansagen konnte ich beim Blick aus dem Fenster keine großen Sturmbewegungen erkennen. Da dachte ich manchmal ungeduldig, blöder Zug, nun fahr doch, ist doch gar nichts los. Offenbar hatte ich mich sehr getäuscht.

Es waren sehr viele Fotografen an der Strecke. Da musste man lächeln, lächeln und schön die Startnummer herunter halten zur späteren Identifizierung. Die klappte immer im Wind hoch - ich hatte meine nur oben befestigt -, weil sie mit Draht und Chip für die Rundenzählung versteift war. Ich wurde wieder überholt, manche Läufer überholten mich mehrfach, sodass mir ihre Rücken vertraut wurden: Die wilden bunten Muster der frühen 90er-Jahre auf Jacken und Hosen haben in Rodgau gelegentlich überlebt, in gedämpfter, verwaschener Form. Dann gibt es ein neues Jackenmaterial, halbdurchsichtig und pastellfarben umspielt es seine Träger, es fällt weich und sieht irgendwie feucht aus, wie eine zusammengefallene Kaugummiblase.

Als sich die sechs Stunden, die als maximale Laufzeit für die 50 km erwünscht waren, ihrem Ende zuneigten, wurde es einsamer auf der Strecke. Der edle Mensch an der Wendepunktstonne auf der Pendelstrecke sah etwas erschrocken aus, als ich ihm sagte, ich hätte noch eine Runde vor mir. So groß hatte er sich wohl nicht sein Opfer vorgestellt. Ich hörte dann auch auf, auch weil in dem einen Waldstück Leute mit ihren Kreissägen auf die Bäume losgingen, krach und splitter, schnell noch etwas Holz machen, bevor es dunkel wurde.

In der Halle fand bei Kaffee, Erbsensuppe und Rindswurst die Siegerehrung statt. Ich hörte sie nur gedämpft, weil ich unter der Dusche stand. Was für eine Dusche! Geräumig, üppig und heiß. Es war so eine Art Wiedergutmachungsdusche: eine Minute für Humfeld, fünf Minuten für fünf kalte Jahre in Arolsen, zehn Minuten für den Nordhessencup….na ja, bis sich das ökologische Gewissen regte.

Geduscht unterhielt ich mich noch mit vielen Bekannten, ich hätte noch länger bleiben mögen, wäre nicht der weite Rückweg nach Kassel gewesen. Ich fuhr mit Heinrich und Dietrich, und wir besprachen ein gemeinsames Problem: Wir sind zu dick, jeder auf seine Art. Dietrich hat schon begonnen, dem entgegenzuwirken: keinen Alkohol mehr, schon seit Neujahr. Das spart Kalorien. Ein stimmiges Konzept. Gesund auch.

In Nordhessen lag noch richtig Schnee. Vor Rückkehr nach Kassel mussten wir noch Heinrich nach Hess. Lichtenau bringen, von Melsungen über die Berge. Schilder warnten vor dem direkten Weg. Aber irgendwie wollten wir nicht so recht an den Winter glauben. Und Dietrich ist ein echter Ultramarathoni. Der ist trotzig, lässt sich nicht so schnell beirren und hält durch. So auch hier. Aber wenige Meter vor Erreichen der Passhöhe war Schluss: Schnee, Glätte, die Reifen fassten nicht mehr. Um uns herum war eigentlich eine märchenhafte Winterlandschaft. Hinter Fachwerkdörfern wechselten sich einsame Berge, Wälder und Wiesen ab, darüber Sterne, und der Schnee schluckte die Geräusche. Was hätte so manch ein Inder dafür gegeben, an unserer Stelle dort zu sein! Denn die Inder träumen neuerdings von Hessen, drehen Bollywoodfilme dort wegen der zauberhaften Naturkulisse. So ist das. Die Inder träumen von Hessen und die Hessen träumen von Indien. „Der Mensch ist nirgendwo zufrieden, und davon lebt die Eisenbahn“, sagten früher die Alten. Und der Auto- und Flugverkehr, möchte man heute hinzufügen. Und der Ultramarathon.

Als wir uns irgendwie heruntergehangelt hatten, mussten wir einen weiten Umweg fahren. Schließlich waren wir doch alle wieder zuhause.


© Elisabeth Herms-Lübbe, 02.02.2007

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