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Tobias Lagemann , 20.06.2008

Ein Lebens-Lauf (1982-2007)

Dass es geht, ich weiß es, man kann Trinken und Laufen. Und mit Trinken meine ich nicht das, was wir alle an den Verpflegungsstellen tun, mal schnell nach einem Becher greifen voll Wasser, Tee, irgend etwas isotonischem, vielleicht auch Cola, um ihn stehend oder schon weiter laufend zu leeren. Ich meine das andere Trinken, ich meine Alkohol. Klar, das schaffen viele, Laufen und Alkohol trinken, nach einem Marathon mal ein Bier, nach einem harten Training mal ein Weizen, zum Anstoßen nach dem Silvesterlauf Sekt, und ja, auch das schaffen viele, morgens früh aufzustehen nach einer Familienfeier mit etwas zu viel Wein und zu laufen, obwohl die Beine schwer sind und der Kopf vielleicht noch schwerer. Und läuft man mal einen Marathon gemütlich, dann geht das auch, dass man von Zuschauern ein Bier annimmt und unter Lachen und Klatschen leert. All das machen viele und ich habe das auch gemacht, aber mit Trinken meine ich das andere Trinken, ich meine das Trinken, das nicht mehr Genuss ist, nicht Übermut, ich meine das Trinken, das Krankheit ist. Denn, ja, es geht, ich weiß das, auch als Alkoholiker kann man Laufen, ich habe das lange genug gemacht, ich habe getrunken und bin gelaufen. Erst ganz spät dann ging beides zusammen nicht mehr, da hat der Körper nicht mehr mitgespielt, und da habe ich dann das Laufen gelassen, da habe ich nur noch getrunken, bis auch das nicht mehr ging und mein Leben in Scherben lag. Aber mal der Reihe nach ...

Laufen als Sport habe ich für mich mit fünfzehn Jahren entdeckt, über lange Jahre waren die Laufstrecken kurz, 1,5 und 3km, später dann regelmäßig 5,5km, erste Ausflüge auf 10km kamen dazu, dann mal 26km und ein Jahr später war es endlich Marathon. Neun Jahre habe ich bis dahin gebraucht, hin zum Marathon, ein Hineinwachsen in den Sport war das, ganz ohne Verein, ohne Lauftreff, ohne Mitläufer, immer nur für mich, ein Testen was geht, ein Verbessern von Bestzeiten, Läufe bei großer Hitze oder bei tiefem Schnee oder im Dauerregen. Spaß hat mir das gemacht, das Laufen, das war nach gescheiterten Versuchen mit Turnen und Fußball genau mein Sport. Alleine unterwegs zu sein, die Gedanken schweifen zu lassen, während der Körper arbeitet, dazu die Natur zu erleben, den Lauf des Jahres zu erfahren, ja, das hat mir viel gegeben. Aber wohl nicht genug, denn noch bevor ich wirklich angefangen habe zu laufen, bevor ich Richtung Marathon aufgebrochen bin, habe ich zu trinken begonnen. Natürlich war alles harmlos, so harmlos wie es die 1,5km Runde gewesen ist, die ich anfangs gelaufen bin, da war Samstags beim Fernsehen mal eine Flasche Bier, mal zwei Glas Wein. Aber so wie aus den 1,5km Runden später die 5,5km wurden, wurde auch das Bier mehr, denn da waren die Feten, auf denen es mehr Bier gab als zu Hause, da gab es genug Bier, um mich bis in den Filmriss zu trinken und das habe ich natürlich gemacht. So wie ich später für das Marathontraining einen Trainingsplan gehabt habe, habe ich damals auf diesen Feten schon einen Fahrplan gehabt, wie ich mich systematisch in den Vollrausch trinke, und es hat prima geklappt. Nach einiger Zeit habe ich dann aber doch aufgepasst, dass ich mich nicht zu sehr abschieße, denn der Kater nach so einem Besäufnis war bei weitem nicht so schön, wie das Besäufnis selbst. Also habe ich mich vorsichtiger zu besaufen begonnen, habe nicht mehr unbedingt auch noch den Filmriss mitnehmen wollen ... Ja, ich war ein sehr vernünftiger Trinker! Nur, gibt es Vernunft beim Trinken, kann man Besäufnisse planen, passt eine so überlegte Vorgehensweise überhaupt zum ach so enthemmenden Alkohol? Heute denke ich, dass damals schon mein Alkoholismus in meinem Kopf gewesen ist, in meinem Denken und Handeln, dass es der Alkoholismus gewesen ist, der da bereits die Schrauben anzuziehen begann. Ja, ich war jung und wenn man jung ist, probiert man vieles aus, das gehört zum Erwachsen werden dazu und ist völlig okay. Aber bei mir ist das schnell mehr als nur probieren gewesen, mehr als jugendlicher Übermut, mehr als der kollektive Cliquensuff, denn ich habe schnell nicht mehr nur auf Feten getrunken oder mal Samstags ein Bier oder auch zwei, auf dem Weg Richtung Abitur hatte ich schon eine Flasche Wein in meinem Schreibtisch. Und die habe ich selbstverständlich 'vernünftig' geleert ...

Warum?

Einen Grund zu trinken gab es für mich eigentlich nicht, also keinen der "klassischen" Gründe, ich wollte mich weder lustig trinken noch irgendeine Schüchternheit wegtrinken, ich wollte mir auch nicht irgendeine Wut aus dem Kopf saufen oder irgendwelche Enttäuschungen ertränken und ich wollte mir auch nicht die Lampe so mit Öl begießen, dass die Flamme Selbstmitleid so richtig schön hell brennen kann. Gut, ja, es gab die Zeit der großen Pose, des Trinkens als Cool-sein, in der Oberstufe gehörte es einfach dazu, mal die letzten Schulstunden ausfallen zu lassen und zusammen mit guten Kumpels in einem Park sitzend eine Flasche Wein zu leeren. Wenn man jung ist, dann gehört einem die Welt und da gehört oft auch das dazu, was man für die große Welt hält, und das ist eben auch der ach so zum richtig Erwachsen sein zugehörig scheinende Alkohol. Und, na klar, wir waren ja keine Spießer und ich ja sowieso schon mal überhaupt nicht, also her mit dem Zeug und runter damit.

Ja, inzwischen weiß ich, warum ich getrunken habe, aber damals, nein, ich habe es wirklich nicht gewusst, aber ich habe es getan, und das, obwohl ich eigentlich hätte vorgewarnt sein müssen, denn mein Vater ist Alkoholiker gewesen, und so wie er, nein, so wollte ich auf keinen Fall werden. Und ich war mir ganz, ganz sicher, ich würde es nicht werden, denn ich war ja clever, ich würde das mit dem Alkohol schon im Griff haben. Heute weiß ich, dass mich damals der Alkohol schon im Griff gehabt hat, denn neben meinem planvollem Trinken habe ich mir die doch ach so einfache und überaus wichtige Frage nicht gestellt, die Frage nach dem Warum. Und denke ich heute an die Flaschen, die sich in meiner ersten Wohnung schnell neben dem Schreibtisch einstellten, wenn ich daran denke, wie ich für meine Abiturklausuren gelernt habe - in einem Park liegend, die Frühlingssonne und eine Flasche Wein genießend -, dann hätte ich mir einfach die Frage nach dem Warum stellen müssen. Das war nicht mehr jugendliche Überschwang, das waren keine Hörner mehr, die ich mir abstoßen wollte, keine Erfahrung, die man vielleicht einfach mal gemacht haben muss, das war schon eine ganz massive Alkoholgefährdung.

In all der Zeit bin ich natürlich gelaufen, als Schüler, als Student, später im Beruf, ich bin meinen ersten Marathon 1990 gelaufen und habe im Training dafür Sonntags nach den langen Einheiten stets zwei Flaschen Bier getrunken, schon allein, um dem Körper schnell wieder Kohlenhydrate zuzuführen, ich habe für den nächsten Marathon trainiert und dabei auch mal vier Wochen lang - meine Freundin hat ein Praktikum gemacht, war tagsüber nicht zu Hause - morgens eine Flasche Wein getrunken, um dann am späten Nachmittag zum "entalkoholisieren" zu trainieren, und trotzdem wurde ich schneller und schneller, und auch die vier Flaschen Bier am Vorabend konnten mich nicht von meiner bis heute schnellsten Zeit beim Monschau-Marathon abhalten. Natürlich, dann und wann habe ich schon gemerkt, dass Alkohol und Laufen doch nicht so gut zusammen passen, aber das sind Ausnahmen gewesen, wirklich nur Ausnahmen, ja, wer ist denn nach einer Silvesterfeier am nächsten Morgen nicht verkatert? Na, und ich, ich bin doch immerhin so fit, dass ich schon wieder um zehn Uhr meine Runde laufen kann, da habe ich mit Alkohol doch gewiss kein Problem. Und dann, als ich mal zu Besuch bei meiner Mutter am Abend eine Flasche Whisky fast alleine geleert habe, da durfte es mir doch am nächsten Tag dreckig gehen, aber, hey, ich konnte trotzdem laufen, trotz der Kopfschmerzen und des pelzig schmeckenden Stücks Stoff in meinem Mund. Ausnahmen, nur Ausnahmen, und die durften doch mal sein, achtete ich doch sonst darauf, dass ich abends nicht zu viel trank, wenn am nächsten Tag eine härtere Trainingseinheit anstand. Nur, das 'nicht zu viel' wurde mehr, langsam aber stetig, und die Tage an denen ich nicht trank, wurden weniger, nicht mal der Einstieg in den Ultramarathon konnte daran noch etwas ändern. So hatte ich eigentlich geplant, vor meinem 100er in Rheine (1995) mal eine Woche lang nichts zu trinken, einfach, um da mit einer fitten Leber ins Rennen zu gehen, denn, so hatte ich mir gedacht, die Leber hat ja bei so einem Lauf schon schwer zu schuften, warum sie dann noch mit Alkohol quälen. Natürlich habe ich es nicht getan, ich habe nicht pausiert, nicht mal am Abend vor dem Lauf habe ich auf Bier verzichtet, ich hatte mir sogar extra eine 0,5l Dose als Schlummertrunk eingepackt - und, hey, es hat geklappt, ich habe wunderbar geschlafen und das Rennen selbst lief super! Im Jahr drauf lief es in Hanau-Rodenbach noch besser und so im Stillen habe ich gedacht, dass ich bestimmt Deutschlands ausdauernster Alkoholiker bin, aber dann habe ich gedacht, dass das ja nicht stimmt, ich ja kein Alkoholiker sei, denn können Alkoholiker so ausdauernd sein?

Ich habe es gekonnt, zumindest über lange Jahre, so konnte ich z.B. bis um Mitternacht Wein trinken, dann drei Stunden Wasser draufschütten, um anschließend mitten in der Nacht (und ohne geschlafen zu haben) von Aachen aus nach Monschau zu laufen, um am Monschau-Marathon teilzunehmen. Was dann aber gehörig in die Hose ging, waren mein Ausflüge in die 24h-Lauferei: beim ersten Mal war ich bei Kilometer 60 schon ziemlich fertig und ich konnte erst nach einer 2,5-stündigen Pause mit viel Wasser und Saft weiter laufen, um dann bei Kilometer 84 das Rennen vorzeitig zu beenden - der Liter Wein, den ich am Vorabend getrunken hatte, war dann wohl doch für die hohen Temperaturen während des Laufens 'etwas' zu viel gewesen. Bei meinem zweiten Versuch die 24h zu laufen kam ich nur bis Kilometer 50 und ich war nicht nur ziemlich, sondern fix und fertig - natürlich hatte ich auch da am Vorabend getrunken, aber dieses Mal konnte ich mir da nicht als Entschuldigung zurecht lügen, dass es einfach zu heiß gewesen sei (dieses Mal stimmten die Temperaturen) und ich deshalb Probleme mit dem vom Alkohol wohl doch etwas angeschossenen Stoffwechsel bekommen hätte, dieses Mal musste ich mir eingestehen, dass das wohl doch nicht geht, also Laufen und Alkohol, zumindest nicht, wenn man soooo lange laufen will. Als kluger Mensch habe ich natürlich daraus gelernt, ich habe mich von den langen Distanzen ferngehalten und, ja, auch das kam irgendwann dazu, von Wettkämpfen. Dass hatte weniger mit nachlassender Schnelligkeit zu tun, als mit Motivationsproblemen - ich wollte mich im Training nicht mehr schinden, ich wollte mit Spaß laufen, ich wollte mich in Wettkämpfen nicht mehr ins Ziel kämpfen, ich wollte mich unterhalten, nur dann und wann - z.B. bei meinem Lieblingslauf, dem Zunft-Kölsch-Lauf - kam noch mal der alte Ehrgeiz durch und ich lief auf Zeit, aber auch damit war es irgendwann vorbei, selbst da, beim Zunft-Kölsch, wurde ich irgendwann zum Genussläufer (redete ich mir ein).

Natürlich genoss ich damals das Laufen, ich genoss all die Marathons, in denen ich als Begleiter von Neulingen unterwegs gewesen bin, ich genoss die Mehrtagesläufe, die ich gelaufen bin, ich genoss die langen Trainingsläufen, denn natürlich machte mir das Laufen nach wie vor Spaß. Laufen war noch immer mein Sport, alleine unterwegs zu sein, die Gedanken schweifen zu lassen, während der Körper arbeitet, dazu die Natur zu erleben, den Lauf des Jahres zu erfahren, ja, das gab mir noch immer sehr viel, aber dann gab es da ja noch den Alkohol, und der nahm mir mehr und mehr die Kraft zu laufen, die Strecken wurden kürzer, die gemütlich gelaufenen Marathons wurden noch gemütlicher ... Ja, noch immer machte mir das Laufen Spaß, aber der Körper stieß mehr und mehr an die vom Alkohol enger und enger gezogenen Grenzen. Und dann stieg ich aus dem Laufen aus, nicht ganz natürlich, drei Mal die Woche schaffte ich noch, auch Läufe von 20km waren kein Problem und die dann und wann gelaufenen Marathons gingen auch immer noch, aber mehr war einfach nicht mehr drin, dafür aber war täglich mit weiter steigenden Mengen Bier und Wein in mir drin.

Natürlich konnte und wollte ich damit nicht leben, denn, hey, ich war Sportler und kein Säufer (so sah ich das damals wirklich, ich war kein Trinker, ich trank zwar viel, aber ein Alkoholiker war ich nicht, ich hatte das im Griff mit dem Alkohol, ja, ich hatte das im Griff!) und so stieg ich wieder ins Laufen ein. Ich begann wieder konsequent zu trainieren, setzte mir Ziele, bekam wieder mein altes Kampfgewicht, lief nach einem halben Jahr Training beim Köln-Marathon schon wieder eine ganz passable Zeit, im Frühjahr drauf konnte ich beim Zunft-Kölsch Lauf auch schon wieder gut mithalten (und zwei bis dahin vor mir laufende Jungs auf den letzten 15km so richtig in Grund und Boden laufen!), im Juni lief ich eine Woche nach dem Duisburg Marathon (als 'Hase' für eine Freundin gelaufen) einen Halbmarathon in 1:30h, Im September durfte ich dann in Münster als Brems-/Zugläufer antreten, und im Oktober reichte es am Baldeney-See schon wieder zu einer Zeit von 3:18h.

Das liest sich ganz gut, ist aber nicht gut gewesen, denn auch wenn ich wieder ganz ordentlich trainierte, die Finger habe ich in der Zeit nicht vom Alkohol gelassen. Ja, da war der dreiwöchige Urlaub in Dänemark, in dem ich nichts getrunken habe, in denen ich das Leben nüchtern genossen habe, aber dann, kaum das ich zu Hause war, habe ich mir Wein gekauft und getrunken und so habe ich dann weiter gemacht. Lief ich abends nach der Arbeit, packte ich mir Geld und eine Plastiktüte ein, um auf dem Rückweg noch schnell einzukaufen, neben dem zum Leben notwendigen natürlich auch Wein, und den trank ich dann, kaum das ich geduscht war. Und natürlich habe ich auch am Abend vor dem Zunft-Kölsch Lauf getrunken, so viel sogar, dass ich am nächsten Morgen eine leichte Fahne gehabt habe. Nach dem Duisburg-Marathon bekam ich dann zum ersten Mal nach einem Lauf Kreislaufprobleme, mir wurde sauschlecht und ich begann zu frieren. Und auch bei dem für meinen Trainingszustand recht gemütlich gelaufenen Münster-Marathon gab es dann und wann Momente, in denen ich mich nicht gut gefühlt habe. Zum Fiasko wurde dann Essen - schon bei Kilometer 5 hatte ich das Gefühl, dass das nichts werden würde, aber ich bin trotzdem auf meinem 3:12er Fahrplan geblieben (versuchen musste ich es einfach, ich hatte schließlich lange dafür trainiert), um ab Kilometer 28 letztlich doch langsamer zu werden, aber nur langsamer und nicht langsam (wie viele andere), und so kam ich noch ganz gut ins Ziel. Aber dann im Auto, als ich auf die anderen wartete, war's vorbei mit dem 'gut', da wurde mir total schlecht und ich musste schnell aus dem Wagen raus und kotzen. Die zwei Liter Wein, die ich am Abend zuvor getrunken hatte, waren dann wohl doch etwas zu viel gewesen ...

Einen Monat später bin ich aus dem Laufen ausgestiegen, dann und wann bin ich zwar noch für kurze Läufe in den Park oder den Wald, aber mehr ging schon nicht mehr. Mehr aus Gewohnheit nahm ich im August des nächsten Jahres noch den Monschau-Marathon mit und im November reichte es dann noch für den Rursee-Marathon, aber beide haben dann nicht mehr wirklich Spaß gemacht, schon für die Zeiten um die fünf Stunden musste ich mich anstrengen, aber das lag, so beruhigte ich mich, in erster Linie an dem fast völlig fehlendem Training und nicht am Alkohol.

Nein, ich wundere mich heute nicht darüber, wie ich all die Jahre so blind gegenüber den doch ach so sichtbaren Folgen des Trinkens habe sein können. Heute weiß ich, was Alkohol mit mir macht, ich weiß, wie er wirkt, ich weiß, wie er zerstört, ich weiß, wie es anfangs langsam, dann immer schneller abwärts geht. Und ich weiß, dass ich im Oktober 2007 sehr viel Glück gehabt habe, dass ich zur Entgiftung ins Krankenhaus kam. Meine Gesundheit war so ruiniert, dass es nur noch eine Frage der Zeit gewesen wäre, bis ich mich zu Tode gesoffen hätte. Natürlich habe ich gerade in der Schlussphase meines Trinkens gesehen, wie es um mich steht, ich kam mir doch vor wie ein Zombie, da war kein Leben mehr in mir, aber die Kraft, dagegen auch nur irgend etwas zu tun - und sei es auch nur genau darüber, über das Trinken nämlich, mit Freunden zu reden - hatte ich schon nicht mehr. Und so konnte ich, auch wenn ich es manches Mal dachte, nicht die Gruppe der Anonymen Alkoholiker aufsuchen, für die eine Tafel im Fenster eines Gemeindehauses warb (und das ich seit 1996 täglich auf dem Weg zur Arbeit gesehen habe).

Fast fünfundzwanzig Jahre habe ich gebraucht, um endlich einzusehen, dass das eben doch nicht geht, Laufen und Trinken, also für mich nicht. Am Ende dieser Jahre stand nicht nur diese Erkenntnis, da lag auch mein Leben in Trümmern, bis auf meine Arbeit war mir nichts geblieben. Von Freunden und Familie hatte ich mich zurück gezogen, meine Gesundheit war ruiniert, meine Wohnung hatte ich verloren.

Dieser Lebens-Lauf hat natürlich weniger mit meinem Laufen zu tun, als mit meinem Trinken, und auch wenn beides in mir ist, das Laufen und der Alkoholismus, ist es gut zu wissen, dass das eine nicht das andere bedingt. Seit dem 3. Oktober 2007 bin ich nun "trocken" und seit dem 3. November 2007 laufe ich wieder. Für mich sind das nun zwei Paar Schuhe, Laufen und Trinken, das eine Paar passt mir gut, das andere aber darf mir nie wieder an die Füße kommen. Und es würde mich sehr freuen, wenn dieser etwas andere "Laufbericht" hilft, dass es bei Anderen erst gar nicht so weit kommt! Denn mal ganz ehrlich (und ich weiß, wovon ich rede), Laufen ohne zu Trinken geht viel besser als Laufen und Trinken!

Tobias Lagemann, Juni 2008



© Tobias Lagemann, 20.06.2008


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